Corona und Ramadan – Soraya (22 Jahre, aus Bremen) erzählt
„Als ich das erste Mal gefastet habe, war ich wahrscheinlich knapp zehn Jahre alt. Eigentlich kann ich mich an keine Zeit erinnern, in der die Fastenzeit keine Rolle in meinem Leben gespielt hat. Anders als Viele denken, geht es beim Ramadan nicht nur darum, den ganzen Tag über nichts zu essen und zu trinken. Es gehört viel mehr dazu.
Für Musliminnen und Muslime ist der Fastenmonat Ramadan der spirituellste Monat im Jahr. Wir besinnen uns auf gute Taten, und achten verstärkt auf unsere spirituelle Gesundheit. Dazu gehört, dass wir versuchen, uns von toxischen Angewohnheiten zu lösen: Nicht lästern, nicht fluchen, nicht rauchen. Das Essen selbst ist natürlich keine toxische Angewohnheit – trotzdem soll uns das Fasten dabei helfen, uns auf das Wesentliche zu besinnen. Dankbar für all das zu sein, was wir an Nahrung aufnehmen. Jeder Mensch, der schon mal gefastet hat, kann bestätigen, dass selbst Wasser – das sonst ja geschmacklos ist – im Monat Ramadan auf einmal seinen Geschmack zurückbekommt. Deshalb ist es nicht Sinn und Zweck des Ramadans, sich nach Sonnenuntergang den Magen bis zum Anschlag vollzustopfen. Was aber sehr wohl dazu gehört, ist das abendliche Fastenbrechen mit unseren Liebsten.
Wer selbst keine große Familie hat, lädt meistens Freunde und Leute aus der Nachbarschaft zu sich ein. Oft wird gemeinsam gekocht. Selbst diejenigen von uns, die normalerweise in ihrem hektischen Arbeitsalltag nicht dazu kommen, selbst zu kochen, bekommen im Ramadan zum Abend hin eine frischgekochte Mahlzeit. Moscheen und Vereine laden zum gemeinsamen Fastenbrechen ein und sammeln Spenden, um Obdachlosen und Bedürftigen kostenlose Speisen zu ermöglichen. Manche von uns verbringen sogar einen Teil des Ramadans im Ausland bei ihren Verwandten. Viel davon wird dieses Jahr nicht stattfinden – oder zumindest anders ablaufen, als sonst.
Ich lebe seit zwei Jahren nicht mehr bei meinen Eltern. Trotzdem sind sie meine Kernfamilie. Ob wir uns im Garten verabreden können, um an der frischen Luft gemeinsam unser Fasten zu brechen? Bis jetzt klingt das nach einer guten Idee. Trotzdem steht fest, dass wir wahrscheinlich die meiste Zeit eher allein sein werden, um unnötige Wege zu vermeiden und so wenig Keime wie möglich auszutauschen. Da die Moscheen noch geschlossen sind, fallen alle Veranstaltungen und gemeinsame Gebetsrunden natürlich auch aus. Das ist ziemlich traurig.
Man kann aber auch versuchen, sich auf die positiven Seiten zu konzentrieren: In Selbstisolation finden viele, die sonst ein aufgedrehtes Sozialleben haben, endlich Zeit zum Kochen! Einkaufen darf man ja. Und telefonieren, um nach Omas Rezepten zu fragen. Zugegeben: Es wird sich komisch anfühlen, Baklava für eine Person einzukaufen. Normalerweise kauft man das nämlich kiloweise, um sich mit möglichst vielen Leuten zusammen in einen süßen diabetischen Schock zu versetzen.
Es ist seltsam und ungewohnt, dass der gemeinschaftliche Aspekt der Fastenzeit überwiegend wegfallen wird. Aber vielleicht können wir die Zeit nutzen, uns spirituell auf uns selbst zu konzentrieren. Oder wir verabreden uns zum Video-Chat-Fastenbrechen mit Freunden und Verwandten.“