Ankunft im Stall von Betlehem
‘Nur wer die Wüste durchquert, gelangt ins gelobte Land.’ (Johannes Bosco)
‘Durch die Vermittlung des Ochsen und des Esels baten mehrere Tiere darum, das Jesuskind kennen zu lernen. Und eines schönen Tages beauftragte der Ochse mit Josephs Einverständnis ein für seine Geselligkeit und Schnelligkeit bekanntes Pferd, gleich am folgenden Tage alle diejenigen einzuladen, die kommen wollten. Der Esel und der Ochs fragten sich, ob man die reißenden Tiere würde eintreten lassen, und auch die Dromedare, Kamele, Elefanten, lauter Tiere, die ihrer Buckel, Rüssel und allgemeinen Überfülle an Knochen und Fleisch wegen ein bisschen verdächtig waren.
Die Frage stellte sich auch für die abscheulichen Insekten wie die Skorpione, die Taranteln, die großen Vogelspinnen, die Vipern, für all die männlichen und weiblichen Wesen, die in ihren Drüsen am Tag so gut wie in der Nacht Gift erzeugten, ja sogar im Morgengrauen, wenn alles rein ist. Die Jungfrau zögerte nicht. ‘Ihr könnt sie alle hereinlassen, mein Kind ist in seiner Krippe ebenso sicher geborgen wie am höchsten Punkt des Himmels.’ ‘Und eines nach dem anderen!’ fügte Joseph in beinahe militärischem Ton hinzu. ‘Ich will nicht, dass zwei Tiere aufs Mal zur Tür hereinkommen, sonst gibt es ein Durcheinander.’ Man begann mit den giftigen Tieren, weil jedermann das Gefühl hatte, man sei ihnen diese Genugtuung eigentlich schuldig. Was besonders auffiel. War das taktvolle Benehmen der Schlangen, die es vermieden, die Jungfrau anzublicken, und so weit wie möglich von ihr entfernt vorbeizogen.
Und sie gingen mit ebensoviel Ruhe und Würde wieder hinaus, als wären sie Tauben oder Wachhunde. Es gab auch so winzige Tierchen, dass sich nur schwer feststellen ließ, ob sie schon drinnen waren oder noch draußen verharrten. Eine ganze Stunde wurde den Atomen gewährt, um ihre Aufwartung zu machen und die Krippe zu umkreisen. Nach Ablauf der Frist hieß Joseph die nächsten Tiere sich vorstellen, obschon er am leichten Prickeln der Haut bemerkte, dass noch nicht alle anderen den Raum verlassen hatten. Die Hunde konnten nicht umhin, ihrem Erstaunen Ausdruck zu geben: Es war ihnen nicht gestattet worden, wie der Ochs und der Esel im Stall Wohnung zu nehmen. Zum Trost wurden sie von allen gestreichelt. Da zogen sie sich, von sichtbarer Dankbarkeit erfüllt, zurück. Als nun aber am Geruch merkbar wurde, dass der Löwe sich näherte, war es dem Ochsen und dem Esel doch nicht recht wohl. Und zwar um so weniger, als dieser Geruch ohne die geringste Rücksicht auf den Duft von Weihrauch und Myrrhen durchdrang, und alle anderen Wohlgerüche, die von den drei Weisen so reichlich verbreitet worden waren. Der Ochse wusste die großzügigen Überlegungen zu würdigen, auf die Joseph und die Jungfrau ihr Vertrauen gründeten. Aber ein Kind, dieses zarte Licht, einem Tier auszusetzen, dessen Atem es auf einen Schlag ausblasen könnte … Die Besorgnis des Ochsen und des Esels wurde nun noch dadurch verstärkt, dass es sich geziemte, wie sie wohl einsahen, in Gegenwart des Löwen völlig gelähmt dazustehen. Sie konnten sich ebenso wenig einfallen lassen, ihn anzugreifen, wie etwa den Donner oder den Blitz. Und der vom Fasten geschwächte Ochse fühlte sich überdies ätherisch als streitlustig.
Der Löwe kam herein mit seiner Mähne, die nichts anderes je gekämmt hatte als der Wüstenwind, und schwermütigen Augen, die Besagten: ‘Ich bin der Löwe, ich kann nichts dafür, ich bin nur der König der Tiere.’
Man merkte, dass sein Hauptanliegen darin bestand, im Stall möglichst wenig Platz einzunehmen, was gar nicht einfach war, zu atmen, ohne ringsum etwas um zu pusten, und seine einziehbaren Krallen und seine von überaus mächtigen Muskeln betätigten Kiefer zu vergessen. Er kam mit gesenkten Lidern heran, verbarg seine prächtigen Zähne wie eine schändliche Krankheit und bewies mit seiner großen Bescheidenheit, dass er offenkundig zu jenem Löwengeschlecht gehörte, das sich später einmal weigern sollte, die heilige Blandine zu verzehren. Die Jungfrau hatte Mitleid und wollte ihn mit einem jener Lächeln trösten, die sie ihrem Kind vorzubehalten pflegte. Der Löwe schaute unverwandt geradeaus und schien mit einem noch verzweifelteren Ton als vorher zu sagen: ‘Was habe ich denn getan, um so groß zu sein und so stark? Ihr wisst genau, dass ich stets nur vom Hunger und der frischen Luft getrieben gegessen habe. Und ihr versteht gewiss auch, dass ich für die jungen Löwen sorgen musste. Wir haben alle mehr oder weniger versucht, Pflanzenfresser zu sein. Aber das Gras ist nicht für uns gewachsen. Es rutscht nicht hinunter.’ Und nun neigte sich sein großer Kopf wie eine Explosion von Haar und Mähne und legte sich traurig auf den harten Boden, und der Pinsel an der Schwanzspitze schien ebenso niedergeschlagen wie sein Kopf, während ein tiefes Schweigen herrschte, das allen weh tat. Als der Tiger an der Reihe war, presste er sich platt auf den Boden, bis er vor lauter Kasteiungen und Sittenstrenge zu Füßen der Krippe ein richtiger Bettvorleger wurde. Dann nahm er in Sekundenschnelle und mit unglaublicher Genauigkeit und Geschmeidigkeit wieder seine vollständige Gestalt an und ging hinaus, ohne noch etwas hinzuzufügen.
Die Giraffe zeigte eine gute Weile ihre Füße unter der Tür, und alle waren sich darin einig, dass ‘das galt’, als hätte sie der Krippe ihren Besuch abgestattet. So ging es auch mit dem Elefanten: Er begnügte sich damit, vor der Schwelle niederzuknien und mit seinem Rüssel gewissermaßen ein Weihrauchfass zu schwingen, was von allen hoch geschätzt wurde. Ein Schaf mit gewaltig dicker Wolle begehrte auf der Stelle geschoren zu werden: Man ließ ihm jedoch sein Fell und dankte ihm für die gute Absicht. Die Kängurumutter wollte Jesus unbedingt eines ihrer Jungen schenken und versicherte, sie mache dieses Geschenk von Herzen gern, es sei gar kein Opfer für sie, dann daheim habe sie noch mehr kleine Kängurus. Aber Joseph ließ nicht mit sich reden, und sie musste ihr Kleines wieder mitnehmen. Der Strauß aber hatte mehr Glück: Er nutzte einen Augenblick der Unaufmerksamkeit, um in einem Winkel sein Ei zu legen und sich dann unauffällig zurückzuziehen. Das Andenken wurde am nächsten Morgen gefunden. Der Esel entdeckte es. Er hatte noch nie so ein großes und so hartes Ei gesehen und glaubte an ein Wunder. Joseph suchte ihm das so gut wie möglich auszureden: Er machte ein Omlett daraus. Die Fische, die nicht persönlich erscheinen konnten, weil ihre Atmung außerhalb des Wassers so kläglich versagt, hatten eine Möwe abgesandt, um sie zu vertreten. Die Vögel gingen fort und ließen ihre Lieder zurück, die Tauben ihr Lieben, die Affen ihre Schalkhaftigkeit, die Katzen ihren Blick, die Turteltauben ihr sanftes Gurren.
Und auch alle anderen Tiere hätten gerne kommen mögen, die noch nicht entdeckt sind und im Schoße der Erde oder des Meeres darauf warten, benannt zu werden, in so abgründigen Tiefen, dass sie von immer währender Nacht umgeben sind, ohne Sterne noch Mond, noch Jahreszeiten. Man spürte in der Luft den Flügelschlag all derer, die nicht hatten kommen können oder sich verspätet hatten, und anderer, die am Ende der Welt wohnten und sich dennoch auf den Weg gemacht hatten, auf ihren so winzigen Insektenfüßchen, dass sie höchstens einen Meter in der Stunde hätten zurücklegen können, und deren Leben so kurz war, dass sie nicht hoffen konnten, mehr als fünfzig Zentimeter hinter sich zu bringen – und auch das nur mit sehr viel Glück. Es gab auch Wunder: Die Schildkröte beeilte sich, der Leguan mäßigte seinen Gang, das Rhinozeros machte anmutige Kniebeugen, die Papageien schwiegen. Kurz vor Sonnenuntergang kam es zu einem Zwischenfall, der alle bekümmerte. Joseph, der den ganzen Tag über die Parade der Tiere geleitet hatte, ohne die geringste Nahrung zu sich zu nehmen, war jetzt müde und zerdrückte in einem Augenblick der Zerstreutheit eine Giftspinne mit dem Fuß, weil er vergaß, dass sie gekommen war, um dem Kind zu huldigen.
Und das fassungslose Gesicht des Heiligen versetzte alle eine ganze Weile in Bestürzung. Gewisse Tiere, von denen man größere Bescheidenheit erwartet hätte, säumten lange im Stall: Der Ochse musste den Marder, das Eichhörnchen und den Dachs hinausbefördern, weil sie nicht freiwillig gehen wollten. Ein paar Nachtfalter nutzten die Ähnlichkeit ihrer Farbe mit jener der Dachbalken, um die ganze Nacht oberhalb der Krippe zu verbringen. Aber der erste Sonnenstrahl verriet sie am nächsten Morgen, und da Joseph niemanden bevorzugen wollte, vertrieb er sie ungesäumt. Die Fliegen, die ebenfalls gebeten wurden zu verschwinden, leisteten der Aufforderung nur widerstrebend Folge, um dadurch klar zu machen, dass sie schon immer da gewesen waren, und Joseph wusste nicht, was er ihnen entgegnen sollte. (Aus: Der Ochs und der Esel im Stall zu Bethlehem, Jules Supervielle)