5. Dezember

Lass dich in die Wüste entführen

Für den, der den köstlichen Reiz der einsamen Freiheit kennt,
ist der Aufbruch der mutigste und schönste Akt der Welt.
(Isabelle Eberhardt)

Phantasiereisen sind ‘Reisen nach innen’ – und damit außergewöhnliche Erlebnisse. Phantasiereisen sind Texte zum Vorlesen bzw. Anhören, die Entspannung, positive Gedanken und Gefühle vermitteln. Außerdem fördern sie Phantasie und Kreativität und helfen dabei, Stress abzubauen und das innere Gleichgewicht wiederherzustellen. Wir alle waren sicherlich im Verlaufe unseres Lebens schon einmal an Orten oder in Situationen, in denen wir uns besonders wohl und ausgeglichen gefühlt haben (am Strand, auf einem Waldspaziergang, auf einem Berg etc.). Die gesprochene Anleitung soll den Entspannenden in eben diese Situationen und die damit verbundenen Bilder zurückführen. Denkbar ist jedoch auch, dass völlig neue Situationen erdacht werden. Man bedient sich quasi einer Art „Kopfkino“.

‘Ich brauche dir nur eine einzige Durchquerung der Wüste aufzuerlegen, damit der Mensch in dir zum Vorschein kommt – wie ein Samenkorn, das aus seiner Hülse bricht – und damit sich der Geist und das Herz entfalten kann.’ (Antoine de Saint-Exupéry)

Man sollte versuchen sich vor der Übung ein möglichst lärmfreies Umfeld zu verschaffen. Schalte das Telefon ab, schließe das Fenster und schaue in deinen Terminkalender, ob genug freie Zeit bleibt. Mache es dir an diesem störungsfreien Ort bequem. Du musst bei der Durchführung der Übung keinesfalls liegen, es hat sich jedoch gezeigt, dass eine liegende Position meist als angenehmer empfunden wird. Für die Entspannung im Sitzen genügt ein ganz normaler, ausreichend bequemer Stuhl völlig. Da das Ziel der Übung Entspannung ist, solltest du dich für die Dauer der Übung aller überflüssigen Dinge entledigen, die eine Entspannung stören könnten. Wichtig ist weiterhin ein Umfeld, in dem eine für dich angenehme Temperatur vorherrscht. Manche Menschen brauchen ein nahezu wüstenähnliches Klima, wohingegen andere eine sehr kühle Umgebung brauchen, um Ruhe zu finden. Häufig stellt sich auch die Frage, ob die Übung mit geschlossenen oder offenen Augen durchgeführt werden soll. Denkbar ist hier prinzipiell beides. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass das “bildhafte Vorstellen” (Imagination), bei geschlossenen Augen leichter scheint. Versuche Farben zu sehen und nach und nach alle Sinne in die Vorstellung mit einzubeziehen. Entdecke die Geräusche, die du dort hören kannst, nehme die Gerüche wahr, fühle die Umwelt. Schaffe dir in der Phantasie einen Ort, den du immer wieder aufsuchen kannst. Wichtig dabei ist, dass dein Bild möglichst konkret und plastisch ist. Wenn du deine Phantasiereise beenden willst und in den Alltag zurückkehren, tue das behutsam.
Atme tief durch, schließe die Augen und entspanne dich. Die Phantasiereise kann beginnen!

Fantasiereise ‘Wüstenwanderung’
Du liegst mit geschlossenen Augen im Sand auf einer Decke vor einer orientalischen Stadt. Weil es noch früh am Morgen ist, ist die Luft noch angenehm kühl. Du spürst, wie die Sonne dir warm ins Gesicht scheint. Neben dir liegt etwas Großes, Warmes, Weiches. Es ist dein Freund, das Kamel. Du streckst die Hand aus, greifst in sein dichtes Fell und flüsterst seinen Namen. ,,Komm“, sagt es leise, ,,lass uns einen kleinen Ausflug machen“. Du stehst auf und fühlst den körnigen, warmen Sand unter deinen nackten Füßen. Hinter dir liegt die Stadt, und vor dir erstreckt sich die Wüste. Sanfte Hügel aus gelbem Sand. ,,Au ja“, sagst du, streichelst dem Kamel die weiche Schnauze und siehst ihm in die blauen Augen mit den langen Wimpern. Schnell wickelst du dir einen Turban um den Kopf. Dein Kamel wackelt vergnügt mit den Ohren. ,,Komm, sitz auf!“ Du kletterst auf seinen Rücken, setzt dich zwischen die Höcker und schlingst beide Arme um den vorderen Höcker. Dein Freund steht vorsichtig auf und läuft gemütlich los. Du sitzt bequem zwischen den Höckern und wirst sanft hin und her geschaukelt. Du hörst, wie der Sand unter den Füßen deines Kamels knirscht und wie das Tier leise atmet. Sonst ist alles ruhig. Über deine Schultern kannst du eure Spur im unberührten Sand sehen. Weit hinten werden die Türme und Kuppeln der Stadt kleiner, immer kleiner, und die goldenen Dächer glänzen in der Sonne. Es wird wärmer. Du blickst wieder nach vorne und siehst in der Ferne einen grünen Punkt. Der kommt näher und näher, und bald siehst du auch Wasser in der Sonne glitzern. Dein Freund läuft schneller, und die Oase kommt immer näher. Dort angekommen kniet das Tier nieder, damit du absteigen kannst. Du schwingst dein Bein über den Höcker und rutschst an der Flanke hinunter. Am rauen Stamm einer Palme schließt du die Augen und genießt den Schatten, den die großen Palmenblätter spenden. Du hörst ein Plätschern, öffnest die Augen und siehst, dass dein Kamel im Wasser steht. Es ruft dich! Du gehst zum Wasserrand, legst dich auf den Bauch und guckst ins Wasser. Es ist ganz klar, und du kannst bis auf den sandigen Grund sehen. Du tauchst den Kopf ins Wasser. Es ist schön kühl. Dein Kopf ist angenehm kühl, du fühlst dich erfrischt und wach.
Atme noch einmal tief durch und öffne langsam die Augen. Oftmals tut es gut, sich noch einmal zu recken, um sich zu beleben und sich wieder auf den Alltag einzustellen. Und natürlich auch noch etwas Zeit, um sich mit dem entstandenen inneren Wüsten-Bildern zu beschäftigen.

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