Meryem, was hast du im Sande gesehen?

In der Nähe des Brunnens Bir Rejeb treffen wir auf die etwa zehnjährige Meryem, Tochter von Mohamed. Die Familie lebt als eine der wenigen noch ganzjährig in der Sahara, immer auf der Suche nach neuen Weidegründen für die Tiere. Sogenannte ’nicht registrierte‘ Menschen – ein Begriff, der aufhorchen lässt und nachdenklich macht, welches Leben sich wohl hinter dieser Bezeichnung verbirgt. Während ihre Geschwister sich neugierig und fröhlich unserer Karawane nähern, bleibt Meryem zurückhaltend vor dem kleinen Familienzelt sitzen. Sie schaut ernst, beobachtet das Geschehen um sie herum. Diesen Moment, ihren Blick, versuche ich ‚einzufangen‘. 12 Jahre Leben in der Wüste, von der Wüste, gegen die Wüste, mit der Wüste. Welche Spuren hat diese Zeit bei diesem Kind hinterlassen? Welche Fragen in ihr aufgeworfen?

Vom Leben angefragt

Es gibt Fragen, die will ich nicht hören. Warum ich abstürze immer wieder, ins Bodenlose. Warum ich mich als Fragezeichenmensch empfinde und es mir unangenehm ist, dass mein Denken oft seltsame Kurven macht oder einfach langsam ist. Es muss immer erst mein Gefühl befragen, von dort aus wieder zurück ins Gehirn, und diese ganze Bewegung verläuft eben gekurvt wie ein Fragezeichen, verirrt sich unterwegs in Unsicherheiten, hakt sich in Zweifeln fest und hat auf jeden Fall nicht die geradlinige Stringenz eines Ausrufezeichens. Ausrufezeichenmenschen verunsichern mich mit ihrer Schnelligkeit und sicheren, klaren Meinung. Ich bewundere das, beneide das, aber habe eingesehen, mehr oder vor allem weniger, dass das bei mir anders ist. Warum ist das so?

Fragen verlangen eine Antwort – das Antworten beginnt in dem Moment, in dem ich die Frage als Anfrage an mich zulasse, egal, ob ich sie verstehe, ob sie mir gefällt oder nicht. Im selben Moment, in dem ich bereit bin, mich vom Leben angefragt zu verstehen, bin ich, um es mit Worten von Hartmut Rosa zu sagen, in einem ‚vibrierenden Weltverhältnis‘ und bereit, mich ‚anverwandeln‘ zu lassen. Dann bin ich wie der Resonanzkörper eines Cellos, der vibriert, wenn ein Bogen seine Saiten streicht. Wie die Stimmgabel, die in Schwingung gerät, wenn eine andere Stimmgabel klingt. Wie die Spinne, die genau spürt, wenn etwas ihr Netz berührt.

(Annette Behnken)

Steigt man in sich selbst hinab, so findet man, dass man genau das besitzt, was man begehrt.

(Simone Weill)

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