3. Dezember: Endlose Geschichten aus 1001 Nacht

Ich bin ein Geschichtenerzähler und ….

… ziehe von Basar zu Basar, entrolle meinen Teppich und breite meine Schätze aus: Märchen, Gleichnisse, Geschichten. Meine Quelle entspringt in euren Zelten, Villen, Wohnküchen, mein Stoff ist euer Leben, Lieben, Streiten. Darin will ich euch eine Oase sein. Also weg mit dem Kochlöffel und aufgepasst, was vor 1000 Jahren und mehr geschehen ist. Lest, lacht und lernt, was wir nun davon haben. Und achtet auf den Dschin aus der Lampe, meinen weisen Freund und Narren. Aber nun los – auf den Teppich mit uns.

Teppich

Der wahre Nomade hat seine Heimat stets im Handgepäck.

Gewebt aus dem Haar seiner Schafe und Ziegen, gefärbt mit den Pflanzen vom Wegesrand. Bestickt mit allen Familiendaten hing der Kelim einst eingerollt am Kamel, zu jeder Zeit bereit, Zeltboden, Picknickdecke, Matratze, Gebetsstätte zu werden. Die Perser machten aus ihm ein Kunststück in Samt und Seide, Aladin brachte ihn zum Fliegen und heute sieht man ihn auch bei uns auf Stein und Holz liegen. Einfach mal im Schneidersitz drauf Platz nehmen und Tee trinken – und schon geht die Reise los ins orientalische Haus.

Haus

Die traditionellen Häuser des Orients sehen mit ihren hohen, fensterlosen Wänden wie die Felsen aus, die sie umgeben und mit deren Stein und Sand sie gebaut wurden.

Ein Bollwerk gegen Hitze, Blicke, Feinde. Wer aber als Freund durch ein prachtvolles Tor treten darf, entdeckt das Paradies: ein gekachelter Lichthof mit plätscherndem Brunnen und schattigem Grün, von dem Säulengänge ins kunstvolle Innere führen. Doch nicht zu weit gehen, sonst landen wir im privaten Bereich. Folgen wir also lieber dem Hausherren in die kühle Halle und nehmen Platz auf einem der Kissen.

Kissen

Als der Teppich ins orientalische Haus kam, wurde er bald zum Kissen, auf dem sich der Tee orientalisch einnehmen lässt.

Die Perser legten ihre Schreibstuben mit Kissen für die Wartenden aus und nannten sie Divan – einen Empfangssalon, in dem die Polster Beine bekamen und sich im ganzen Reich verbreiteten. Aus diesem ‘Suffa’ wurde das Sofa, ein orientalisches Original wie die Matratze. Aber wohin mit dem Essen? Bitte aufs Tablett.

Tablett

Noch bevor man im Orient das Sofa erfunden hatte, kannte man schon den Couchtisch:

ein Tablett – für den Alltag aus Holz, für Festtage aus kunstvoll gehämmertem Metall – mit kurzen Beinen unten dran oder auch einem Gestell zum Zusammenklappen. Auf diesem Tisch lassen sich Zutaten für die Teezeremonie postieren, eine reiche Auswahl von Mezze oder ein Couscous zur Selbstbedienung. Wer so ein Tablett wie ein echter Orientale mit beiden Händen vor seine Gäste stellt, der kann fast nichts mehr falsch machen. Und darf dann sogar etwas tun, was als spiessig gilt. Lies nach unter Pantoffeln.

Pantoffeln

Öffnet der Gastgeber die Tür in Pantoffeln, wird’s wohl ein gemütliches Fest.

Und dann sind Pantoffeln Pflicht für alle. Natürlich keine Filzlatschen, sondern die Originale aus dem Orient, spitz wie die Paprika. Cediks, Babouche oder Mules heißen sie und können aus Leder oder feinem Stoff mit traditionellen Mustern und Applikationen sein. Die ließen schon den kleinen Muck ganz vorne mitlaufen und sind wieder sehr im Trend. Der Kenner trägt sie auch auf der Strasse oder dem Markt. Auf zum Basar.

Basar

Nimm Kauf- und Kaffeehaus, mische es mit Zirkuskunst und Handwerk, verstreue das rund um eine Moschee – fertig ist der Basar, persisch ‘Bazaar’, arabisch ‘suk’, deutsch ‘Markt’.

Aber was sind schon Worte bei all dem Geschrei und Gesang, Feilschen und Hämmern, Brutzeln und den Düften zwischen den überquellenden Läden. Wobei das Chaos seine Ordnung hat so wie all die Gewürze, Silberkannen, Plastikeimer ihre eigenen Gassen haben. Aber was ist schon eine Gasse, wenn es hunderte sind? Dann hilft nur Ruhe bewahren. Gehen wir ins Kaffeehaus auf eine Wasserpfeife.

Wasserpfeife

Wir wollen hier weder berauschen noch vergiften, wir wollen erzählen:

Wie der Italiener beim Kaffee vertraut der Orientale beim Rauchen lieber aufs Stammlokal als aufs Wohnzimmer. Dort sitzen die Männer mit der Shisha (Shishe, Nargila), in der ein Stück Kohle den Tabak in einen Wassertank rauchen lässt. Wird nun reihum am Schlauch der Pfeife gesaugt, drückt es den Rauch durchs Wasser und er strömt kühl gefiltert in den Mund. Schädlich? Mag sein. Wir erzählen ja nur. Wie wär’s mit einem kleinen Spiel?

Spiel

Schach kommt vom ‘Schah’, dem persischen König, der dem berühmten Spiel seinen Namen gab.

Erfunden in Indien, dort entdeckt von den Persern, machten die Araber das ‘Spiel der Könige’ bei uns populär. Und mehr: Auch Backgammon verdanken wir den verspielten Orientalen, die es schon im alten Babylon kannten, ebenso wie das ähnliche Kalah(a), bei dem Bohnen, Murmeln oder Edelsteine durch Kuhlen hüpfen. Selbst das Kartenspielen kam aus dem Orient zu uns. Ihr bietet dagegen, liebe Skatbrüder? Wir gehen mit – und setzen einen Schatz.

Schatz

Was wären ‘1001 Nacht’ ohne den Schatz?

Das gleiche wie Basare ohne ihre kunstvoll gehämmerten Kessel, das gleiche wie Krieger ohne Schwerter aus Damaszenerstahl, das gleiche wie die reichste Frau der Kasbah ohne ihren Schmuck. Als man bei uns noch Äxte schnitzte, bereicherten Handwerker und Gelehrte den Orient mit feinsten Metallarbeiten – Schätze, die Märchenhelden wie Sindbad und Ali Baba beflügelten. Wobei für die Nomaden der Wüste nur eines als ‘Schatz’ galt: ihr Vieh. Denn ohne das waren sie arm dran. Mehr zu einfachen Schätzen unter Stein.

Stein

Die sagenhaftesten Schätze vermutete man hinter Felsen und unter der Wüste – weil es nicht sein durfte, dass das Leben nur aus Stein und Sand bestand.

Die ersten Häuser waren auf jeden Fall daraus gebaut, was sie für Feinde unsichtbar machte. Ein Widersacher war aber das Wetter, wogegen Kacheln vor allem an Kanten und Öffnungen schützen sollten. Aus Sand und Stein entstanden feinste Ornamente und Mosaike – wahre Schätze wie auch die Amphoren des Orients. Und dahinter verbirgt sich wirklich ein Schatz. Mehr dazu beim Wasser.

Wasser

Wer in der Wüste genug Wasser hat, wird reicher als andere.

Wie Ägypten am Nil, Bagdad im Zwischenstromland, die Hafenstädte am Golf und Meer. Wer im Orient Wasser sparen muss, tut es zuletzt vor Gott. So gehört das Waschen zur religiösen Pflicht wie der Besuch des Hammam (=öffentliches Bad) zum Luxus. Und: Wer Wasser im Überfluss hat, wäre wohl kaum auf so gute Ideen gekommen wie Couscous zu dämpfen, Tajines zu schmoren oder Lamm im Erdloch zu grillen. Mehr Wasser gibt es in der Oase.

Oase

Die erste Oase in der Wüste war das Paradies: Wer drinnen war, dem ging es ewig gut; wer draußen war, musste täglich ums Überleben kämpfen.

Die Ur-Oase: Wenn die Wüste mal an einer Stelle ihr Wasser hergab, dann wuchsen dort gleich Dattelpalmen und Feigenbäume. Und schon waren ein paar Nomaden da, die bald keine mehr waren und erst Häuser, dann Stadtmauern hoch zogen. Lag die Stadt nun auf dem Weg der Karawanen, waren Reichtum und Weltruhm praktisch garantiert, Ruhe und Frieden allerdings dahin. Da hilft dann nur noch die private Oase nach paradiesischem Vorbild. Mehr dazu: Immer der Rose nach.

Rose

Englische Land-Ladies verehren sie wie eine Tasse besten Tee – aber was ist das im Vergleich zur maßlos blühenden Leidenschaft, die Orientalen seit Jahrtausenden beim Duft der Rose verzückt.

Die Perser begannen sie zu kultivieren, und bis heute ist ein ‘gulistan’ (pers. für Rosengarten) inmitten der Wüste Poesie pur. Eine Oase, die sich am besten hinter hohen Mauern versteckt, und die Gäste dann umso mehr überrascht. Wer das nicht hat, kann ihnen immer noch Rosenblätter streuen und sie mit Rosenwasser besprengen, wie man es im Orient als guter Gastgeber macht. Oder die Blüte in ein Ornament verwandeln.

Ornament

Keine Engel mit Pausbacken, kein jüngstes Gericht, noch nicht einmal ein Auge Gottes – wer in eine Moschee tritt, wird dort keine Bilder sehen, dafür sich ewig rankende Muster mit aller Pracht und Detailfreudigkeit.

Schon vor den Einflüssen des Islams setzten die Handwerkskünstler des Orients lieber auf Verzückung durch Wiederholung statt auf Einzelstücke. Ihre Arabesken ranken sich über Wände, Säulen, Kachelböden, Waffengriffe, aber auch durch Bücher und Schriftzeichen oder selbst über Hände als Henna-Malerei. Womit wir bei der Farbe landen.

Farbe

Der Orient holte sich die Farbe in die Wüste und brachte sie in unser Leben – historisch, sprachlich und tatsächlich:

Gelb (einst gewonnen aus Safran, Kurkuma); Lila (Kommt von lilak, pers. für Flieder); Purpurrot (gewannen die Phönizier aus der Purpurschnecke); Karminrot (machten die Perser aus Läusen); Orange (einst hergestellt aus der nordafrikanischen Färberdistel – der Name kommt von naranji, pers. für Apfelsine); Grün (Farbe des Islam; früher aus Grünspan gewonnen); Türkis (muss man noch mehr sagen, asser dass sein Anblick schon kühlt). Mehr Farbe: im Licht.

Licht

‘Ex oriente lux’, sagt der Lateiner gerne, ‘aus dem Osten das Licht’.

Weil dort die Sonne aufgeht. Weil dort der Mond den Kalender bestimmt. Weil dort die Astronomie begründet wurde. Weil dort Christen, Juden und Muslime den Geburtsort ihrer Religion finden. Weil Kaufleute und Wissenschaftler des Orients Licht ins dunkle Europa brachten. Weil dort immer wieder große und kleine Feuer aufflackern. Weil von dort die zauberhafte Öllampe kommt, aus der einst in einer der 1001 Nächte Aladin den guten Dschinn heraus trieb. Noch mehr Geschichten? Lies dort nach.

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