‘Der Friede sei mit dir’ – so lautet der fromme Wunsch, der im ganzen Orient zur Begrüßung zu hören ist, auch wenn es oft nur ein saloppes ‘salam’ ist.
سلام
Die arabische Sprache – eine Sprache, aus deren Aussagekraft die ganze Faszination einer grossen Kultur spricht. Eine Sprache der schönen Dichtung und des Geistes; eine Sprache, die bedauerlicherweise oft ins Abseits gedrängt wird. Eine Sprache, bei der man Lust bekommt, ihre Geheimnisse zu entschleiern.
Nachfolgend ist eine Version des arabischen Alphabets abgebildet. Wer Lust hat, kann versuchen, seinen Namen auf arabisch zu schreiben. Wichtig zu beachten: Die Wörter werden von rechts nach links geschrieben und gelesen. Es gibt keinen Buchstaben für unser ‘e’. Man nimmt dafür das arabische ‘a’ oder ‘i’.
An meinem ersten Abend in der Wüste (2005) haben die Beduinen für mich einen arabischen Namen ausgewählt. Seitdem heiße ich ‘Mabrouka’, was soviel wie ‘die Segnende’ oder ‘die alles willkommen heißende’ bedeutet.
… war die erste Liebe für das kulinarische Mitteleuropa.
Lange bevor Amerika uns die Kartoffel brachte und Italien die Pizzeria, verwöhnte er uns mit Orangen aus China, Zimt aus Ceylon sowie Feigen, Kaffee und Pistazien aus dem eigenen Garten. Er führte uns ein in die wunderbare Welt des Würzens und Handelns, brachte Farbe und Weisheit in unser leben, lehrte uns die wahre Gastfreundlichkeit. – Begeben wir uns also auf eine adventliche Sinnenreise!
Der Adventskalender ist eine Einladung an alle, die Lust verspüren, sich auf eine Kultur voller Gegensätze und Überraschungen einzulassen. Eine Einladung in den Orient, in dem wir viel dazulernen können, wenn es um die Kunst des Genießens geht.
‚Ich liebe diesen Ort, ich liebe das Leben des Orients.‘ (Isabelle Eberhardt, 1877 – 1904)
Ich bin bei jeder Wüstenreise wieder neu fasziniert von der arabischen Welt mit ihren kulinarischen Köstlichkeiten, Geschichten am Lagerfeuer, Musik und Tanz, der Sahara und der Lebensart der Beduinen. – Man hört in den Medien häufig von den großen Herausforderungen in der islamischen Welt; hierbei gerät der kulturelle Reichtum des Orients oft in Vergessenheit. Vielleicht kann der Adventskalender einen kleinen Beitrag leisten, die Vielfalt der arabischen Kultur stärker wahrzunehmen und sich inspirieren zu lassen. Mit dem Adventskalender wünsche ich uns allen eine schöne – orientalisch angehauchte – Adventszeit. Machen wir uns auf den Weg!
Orient
‚Wann werde ich dich wieder sehen, du Zauberland, du unwiederbringliches Land des Schweigens und der Ruhe, fern von der lärmenden Welt, du Land des Traumes und der Trugbilder, das die Unruhen Europas ungerührt an sich vorüber ziehen lässt?‘ (Isabelle Eberhardt, 1877-1904)
Wenn wir das Wort Orient hören, so denken wir spontan an etwas Geheimnisvolles, Märchenhaftes, Mythisches. Wir denken an abenteuerliche Berichte von Forschern und Weltenbummlern, die mit viel Aufwand vor Hunderten von Jahren die orientalischen Länder bereisten. Das Gebilde Orient schien darin wie ein weit entfernter Kontinent.
Dabei gibt es für unsere abendländische Kultur weit mehr Verbindendes als Trennendes zu den Ländern jenseits des Mittelmeeres.
Fast unser gesamtes philosophisches Weltbild stammt von dort, selbst die griechische Kultur wurde uns zunächst von den Arabern vermittelt. Das Christentum und Judentum haben sich ebenso im Orient entwickelt wie das heutige Zahlen- und Dezimalsystem. Zur Mythenbildung über den Orient trägt bei, dass der Ortsbegriff nicht so einfach zu fassen ist: Da gibt es den Vorderen und den Hinteren Orient, den Nahen und den Fernen Osten und nicht zu vergessen: das Morgenland.
Manche Fachleute machen es sich einfach und stellen fest, der Orient (aus lat. oriens=aufgehende Sonne, Osten) sei dort, wo arabisch gesprochen werde. Andere sehen in der Religion des Islam die alles verbindende Klammer.
Ich möchte euch mit diesem orientalischen Adventskalender einladen, einen sinnlichen Blick auf die morgenländische Kultur zu werfen: auf das Essen und Trinken, Gewürze und Düfte, Geschichten und Gedichte, Musik und Sprache.
Das soll uns mitten ins Leben der arabischen Welt führen: Ein Leben, das sich viel auf Märkten und in Basaren abspielt. Ein Leben, in dem Worte wie Gastfreundschaft, Höflichkeit und Geduld keine hohlen Floskeln sind. Der Kalender begleitet uns auf die afrikanische Seite des Mittelmeeres, dort, wo ein Kontinent beginnt, der uns neue Erfahrungen und Abenteuer verspricht.
Wenn auch in diesem Rahmen bewusst nicht näher auf die großen Herausforderungen des Orients eingegangen wird, so möchte ich doch zumindest anmerken, dass aktueller Unfrieden und kriegerische Auseinandersetzungen auch mit Unverständnis, Kolonial-Lasten und Intoleranz gegenüber anderen Kulturen zu tun haben.
Darum hoffe ich, mit dem Adventskalender nicht nur sinnliche Freude, sondern auch ein wenig mehr Verständnis und Neugierde für diese uns so fremdartige Kultur zu wecken.
‘Niemand kann in der Wüste leben und unverändert daraus hervorgehen. Er wird für immer, mehr oder weniger deutlich, das Zeichen des Nomaden tragen; und er wird immer das Heimweh nach diesem Leben spüren, ob leise oder brennend.’ (Wilfred Thesiger)
‘Geh hinein in die Wüste und fühl hin. Geh eine Weile, ein paar Stunden, ein paar Tage. Mach hell deine Sinne, lausche, rieche, schau, spür die Mühen deines Gehens und sei ein wenig zufrieden mit dir. Sei wahrhaftig mit deinen Problemen und hör auf, dich anzulügen. Denn eines ist sicher: Wer wahrhaftig in die Wüste geht, der kommt verändert wieder heraus.’ (Jürgen Werner)
Wir sollten unsere eigenen Souvenirs auspacken. Wir haben es verdient, uns selbst mit unseren Andenken aus der spirituellen Wüstenwanderung durch den Advent zu beschenken. Wir müssen sie nur auspacken. Wenn es uns gelingt, dieses Stück festzuhalten, sind wir im Besitz einer Oase im Alltag. Seltsamer Widerspruch und doch wahr: ein Stück Wüste als unsere Oase im Getriebe unseres Lebens. Schenken wir uns also die Zeit, ab und zu in unsere Oase zu pilgern. Dabei muss jeder seinen eigenen Weg finden, der ihn in seine Oase führt. Aber all das, was wir in der Wüste erfahren haben, wird uns dabei helfen. Wir haben die Zeit, um uns Zeit zu schenken. Wir müssen sie uns nicht nehmen. Gehen wir einfach etwas langsamer durch unseren Alltag – dann und wann – , und wir haben den ersten Schritt getan hin zu unserer eigenen Oase. Wir bestimmen das Tempo unserer Schritte, wir können uns Zeit schenken, wenn wir dies nur wollen.
Erinnern wir uns daran, mit wie wenig Dingen wir unseren Aufenthalt in der Wüste bestritten haben. Nur das wirklich Notwendige hat uns durch den Tag begleitet: unsere Kleidung, der Schutz gegen die Sonne, die guten Schule, so viel Wasser und Nahrung als nötig, Geschirr für unser Essen, das Glas für den Tee, der Schlafsack für die Nacht. Wir haben gelernt, dass alles Überflüssige nur hinderlich und erschwerend ist. Schenken wir uns einen Tag, an dem wir uns selbst beschränken auf Wesentliches: ein Tag ohne Uhr, ohne Handy und Telefon, ohne Fernseher und Computer, ein Tag ohne Termine und Ablenkungen. Und uns auf den Weg machen zu uns selbst. Wenn wir den Mut aufbringen, uns darauf einzulassen, werden wir wieder ein Stück Wüste finden. Ein kleines Stück Wüste am Rand unseres Lebens zu Hause. Sich in seinem Alltag neu zu orientieren, inne zuhalten und nach einem Stück Wüste Ausschau zu halten, ist nicht immer ganz einfach. Zu sehr haben wir uns an unsere Alltagsrituale gewöhnt, zu tief haben wir die Strategien verinnerlicht, mit denen wir versuchen, unseren Alltag und unser Leben in den Griff zu bekommen. Um die Wüste in sich selbst zu finden muss man nur den ersten Schritt tun. Alles, was dann folgt, ist nur halb so schwer. Schenken wir uns also Zeit für den ersten Schritt. Die Wüste hat uns gezeigt, dass wir uns auf uns selbst verlassen können. Wir benötigen nicht viel Aufwand und nicht viel Mut zu einer Reise zu den kleinen Wüsten unseres Alltag.
Schenken wir uns die Zeit zu einem Ausflug in die Stille. Egal, ob das ein Spaziergang draußen in der Natur ist oder ein Nachmittag in den wohligen vier Wänden. Wir werden sie wieder finden, die große Stille der Wüste. Ihr Nachhall ist in uns, wir müssen nur darauf hören. Der Atem der Wüste atmet in uns fort. Auszeit – Wüstenzeit. Den Tag einfach geschehen lassen. Unterwegssein irgendwo zu Fuß in der Stille, und das Gefühl der Weite in uns wird zurückkehren. Und wir werden spüren: Unser Leben ist im Fluss, nichts stagniert wirklich. Wir müssen auf den Rhythmus unseres Lebens lauschen, auch wenn uns dieser manchmal nicht gefällt. Aber wenn wir uns dem Leben anvertrauen, werden wir tief in uns die Lösung finden: den richtigen Schritt, das richtige Tempo, das uns in Einklang mit unserer Lebenswelt bringt und das uns doch schließlich voranbringt.
Wie arm ist, wer seine Wüste nicht hat mitten im Lärm der Zeit. (Werner Bergengruen)
Denken wir an das Gehen in der Wüste. Es ist nicht förderlich, auf ein fernes Ziel am Horizont zu starren und zu lamentieren, wie weit wir noch davon entfernt sind, zu zweifeln, ob wir es je erreichen werden. Sich auf die Gegenwart konzentrieren heißt die Lösung. Schritt für Schritt bei sich selbst sein und nicht zurückblicken auf das, was hinter uns liegt, und nicht nach vorne sehen auf das, was da noch alles auf uns zukommen könnte. Die gleiche Regel kann auch für unseren Alltag gelten, für unseren oft ebenso mühevollen Weg durch das tägliche Leben. Und falls die Dinge nicht so laufen, wie wir uns das vorstellen? Wir sind es ja gewohnt, dass alles so klappen muss, wie wir uns das in den Kopf gesetzt haben. Erinnern wir uns doch an das ‘inshaalah’ der Araber. Wir sind nicht die Herren über unser Schicksal. Das Schicksal oder wie immer wir es nennen wollen, macht uns nur zu oft einen Strich durch die Rechnung. Wir sind machtlos und werden wütend darüber, anstatt zu begreifen, dass wir die Dinge einfach akzeptieren müssen. Vieles, was im Leben geschieht, kann man nicht ändern. Wir haben keine Wahl. Entweder wir begehren dagegen auf und verschwenden dadurch unsere Energien, oder wir akzeptieren es in Demut, weil wir wissen, dass wir in uns die Kraft und die Fähigkeit haben, uns auf eine neue Lebenssituation einzustellen, sie ebenso anzunehmen wie den steinigen Weg in der Wüste. Wir sind unterwegs auf einer Reise, und wie in der Wüste ist der Weg mal beschwerlicher und mal leichter zu gehen. Gehen müssen wir ihn so oder so. Es liegt an uns, ob wir den Mut haben, es uns leichter zu machen und den passenden Schritt zu finden.
Packen wir unsere Souvenirs aus der Wüste aus. Schenken wir uns die Oasen der Stille und Demut, aus Gelassenheit und Selbstvertrauen. Wenn wir das zulassen, was die Wüste uns gezeigt hat, wenn wir den Weg weiter gehen, den wir in der Wüste zu gehen begonnen haben, wird er uns zu uns selbst führen. Das ‘Seelengepäck’, das wir vor Aufbruch zu unserer Wanderschaft durch die Wüste in unseren Rucksack gepackt haben, wird auf einer der Etappen auf der Wanderschaft durch unser Leben plötzlich nicht mehr auf den Schultern unserer Seele lasten. Wir müssen nur begreifen, dass der einmal in der Wüste begonnene Weg niemals zu Ende ist. Wir brauchen nur den Mut, auf das zu hören, was die Wüste uns erzählt hat über uns selbst. Es ist in uns. Was sie uns zeigt über uns selbst, das ist unser Souvenir aus der Wüste. Wir können es nie mehr verlieren. Vieles kann sich dann für uns ändern, vieles kann unser Leben erleichtern – ‘Inshallah’.
Wüste ist jetzt, Wüste ist Verheißung und Erfüllung, Weg und Ziel, Läuterung und Hoffnung. Die Wüste lehrt das Leben neu. Die Wüste wirkt das Wachstum neu. Das Leben wird im Wachstum reich. Die Wüste ist die neue Welt. (Matthias Kopp)
‚Wer gibt mir die schweigenden Nächte zurück, die müßigen Streifzüge durch die salzigen Ebenen? Ich liebe diesen Ort, ich liebe das Leben des Orients, es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass es zu Ende ist.‘ (Isabelle Eberhardt)
Die Wüste ist kein Platz, an dem wir dauerhaft verweilen können. Aufbruch und Abschied, Unterwegssein von einem Ort zum nächsten ist die der Wüste gemäße Lebensart. In der Wüste gibt es keinen Stillstand. In der Wüste sein, heißt immer auf Reisen sein. Und wie jede andere Reise auch, findet die spirituelle Wüstenreise durch den Advent schließlich ihr Ende. Und das ist auch gut so. Wir stehen in unserer eigenen Welt, in unserem Alltag, der oft so völlig anders ist als all die Tage in der besinnlichen Weihnachtszeit. Doch vielleicht spüren wir, dass die spirituelle ‘Reise durch die Wüste’ uns ein wenig verändert hat, Spuren in uns hinterlassen hat. Noch sind diese adventlichen Spuren nicht verwischt, noch sind unsere Sinne geschärft, und die Eindrücke frisch: sowohl in unserem Gedächtnis als auch in unserem Körper. Gleichzeitig spürt man vielleicht auch die Sorge, dass all das, was wir als wichtig erkannt haben, vom Alltag verweht wird. Wir befürchten, dass die Spuren, die wir in unserer Seele gelegt haben, vom Geröll des täglichen Einerleis allmählich verschüttet werden. Der Alltag hat uns wieder, die Reise im Advent ist zu Ende. Aber muss deshalb unsere innere Reise zwangsweise auch zu Ende sein? Nein – denn Wege entstehen dadurch, dass wir sie gehen. Im Advent sind wir einen Weg gegangen, haben uns einen Weg durch die Wüste erwandert, auch einen Weg zu uns selbst. Und wenn der Weg durch die Weihnachtszeit auch sein Ende gefunden hat, so heißt das noch lange nicht, dass unser innerer Weg ebenfalls an ein Ende gekommen ist. Es gibt keinen Grund, innezuhalten. Gehen wir einfach weiter, so wird ein neuer Weg entstehen.
So muss es sein. So werden wir es immer machen! Wir sind immer unterwegs. (Ingeborg Bachmann)
Aus der christlichen Überlieferung kennen wir sie als die ‘Heiligen drei Könige’. Sie repräsentieren die Könige der Völker und huldigen dem wahren König im Kind von Betlehem. Oft werden sie auch Magier genannt. Als solche sind sie Träger eines Bundes mit Gott, die sein himmlisches Zeichen deuten und aufbrechen zum noch unbekannten Zielort. Und als die Weisen aus dem Morgenland vertrauen sie sich der Führung Gottes und seines Sterns an. Sie machen dabei die überraschende Entdeckung: Was der Stern sagt, erweist sich auf Erden als wahr, wenn auch anders als sie es sich vorgestellt hatten. Wie immer wir die Sterndeuter nennen – die Erzählung spricht von einer tiefen Sehnsucht des Menschen nach einem Leben, in dem wir sein können, wie wir wirklich sind. Die Sehnsucht der Sterndeuter wird nicht gleich erfüllt. Sie suchen und fragen, verirren sich und müssen sich mit einer Welt auseinander setzen, die auch uns hinreichend bekannt ist. Die Sterndeuter entdecken inmitten der Dunkelheit einen Stern, ihre Sehnsucht findet eine Orientierung. Geleitet vom Stern, brechen sie aus ihrem gewohnten und gesicherten Lebensalltag auf, geben ihrer Sehnsucht Raum und begeben sich auf eine Pilgerreise durch Wüste und Einsamkeit, setzen sich dem Zweifel aus bis zu dem Ort, den der Stern ihnen zeigt. Er beleuchtet eine dunkle Szene, in der sie neues Leben erkennen. Es wird erzählt, die Sterndeuter hätten drei Geschenke mitgebracht: Gold, Weihrauch und Myrrhe – eine dreifache Botschaft. Gold: der Mensch ist wertvoller als alles andere auf Erden. In jedem Menschen gibt es dieses ‘Gold’, seine Würde und Einmaligkeit, seine Freiheit und Verantwortung zu entdecken. Weihrauch: das Zeichen der Sehnsucht, die sich ausbreitet und erhebt, indem sie nach Sinn fragt und sucht und wahrhaft neues leben gestaltet. Myrrhe: Symbol der Linderung von Schmerz und Leid, der menschlichen Begrenztheit, Schwäche und Angst. Sie erinnert daran, die eigenen Schwächen und die anderer zu tragen und Barmherzigkeit zu leben.
‘Jede Reise, die uns in die Wüste führt, ist eine Reise weit fort von unserem alltäglichen Erleben, fort von einem Leben, das häufig geprägt ist von Verpflichtungen, Verantwortlichkeit und Zeitdruck. Nur selten finden wir Muße, innezuhalten und uns umzusehen, wo wir uns eigentlich befinden, wo unser Herz, unsere Seele zu Hause sind. Und finden wir gelegentlich doch einen Augenblick der Ruhe und Besinnung, stellen wir oft mit Schrecken fest, dass wir uns verlaufen haben und unser Leben in eine Sackgasse geraten ist. Wir besitzen keinen Plan mehr, wie es mit uns weitergehen soll. Wir haben die Orientierung verloren wie der Wanderer oder Sterndeuter, der plötzlich stirnrunzelnd innehält und sich suchend umsieht. Aber wir haben selten Zeit genug, lange einzuhalten und uns zu orientieren. Verwirrt verweilen wir einen Augenblick am Rand unseres Alltags; dann aber müssen wir weiter, denn wir sind davon überzeugt: Das Leben hält nicht still für uns.’ (Jürgen Müller)
‘Nur wer die Wüste durchquert, gelangt ins gelobte Land.’ (Johannes Bosco)
‘Durch die Vermittlung des Ochsen und des Esels baten mehrere Tiere darum, das Jesuskind kennen zu lernen. Und eines schönen Tages beauftragte der Ochse mit Josephs Einverständnis ein für seine Geselligkeit und Schnelligkeit bekanntes Pferd, gleich am folgenden Tage alle diejenigen einzuladen, die kommen wollten. Der Esel und der Ochs fragten sich, ob man die reißenden Tiere würde eintreten lassen, und auch die Dromedare, Kamele, Elefanten, lauter Tiere, die ihrer Buckel, Rüssel und allgemeinen Überfülle an Knochen und Fleisch wegen ein bisschen verdächtig waren.
Die Frage stellte sich auch für die abscheulichen Insekten wie die Skorpione, die Taranteln, die großen Vogelspinnen, die Vipern, für all die männlichen und weiblichen Wesen, die in ihren Drüsen am Tag so gut wie in der Nacht Gift erzeugten, ja sogar im Morgengrauen, wenn alles rein ist. Die Jungfrau zögerte nicht. ‘Ihr könnt sie alle hereinlassen, mein Kind ist in seiner Krippe ebenso sicher geborgen wie am höchsten Punkt des Himmels.’ ‘Und eines nach dem anderen!’ fügte Joseph in beinahe militärischem Ton hinzu. ‘Ich will nicht, dass zwei Tiere aufs Mal zur Tür hereinkommen, sonst gibt es ein Durcheinander.’ Man begann mit den giftigen Tieren, weil jedermann das Gefühl hatte, man sei ihnen diese Genugtuung eigentlich schuldig. Was besonders auffiel. War das taktvolle Benehmen der Schlangen, die es vermieden, die Jungfrau anzublicken, und so weit wie möglich von ihr entfernt vorbeizogen.
Und sie gingen mit ebensoviel Ruhe und Würde wieder hinaus, als wären sie Tauben oder Wachhunde. Es gab auch so winzige Tierchen, dass sich nur schwer feststellen ließ, ob sie schon drinnen waren oder noch draußen verharrten. Eine ganze Stunde wurde den Atomen gewährt, um ihre Aufwartung zu machen und die Krippe zu umkreisen. Nach Ablauf der Frist hieß Joseph die nächsten Tiere sich vorstellen, obschon er am leichten Prickeln der Haut bemerkte, dass noch nicht alle anderen den Raum verlassen hatten. Die Hunde konnten nicht umhin, ihrem Erstaunen Ausdruck zu geben: Es war ihnen nicht gestattet worden, wie der Ochs und der Esel im Stall Wohnung zu nehmen. Zum Trost wurden sie von allen gestreichelt. Da zogen sie sich, von sichtbarer Dankbarkeit erfüllt, zurück. Als nun aber am Geruch merkbar wurde, dass der Löwe sich näherte, war es dem Ochsen und dem Esel doch nicht recht wohl. Und zwar um so weniger, als dieser Geruch ohne die geringste Rücksicht auf den Duft von Weihrauch und Myrrhen durchdrang, und alle anderen Wohlgerüche, die von den drei Weisen so reichlich verbreitet worden waren. Der Ochse wusste die großzügigen Überlegungen zu würdigen, auf die Joseph und die Jungfrau ihr Vertrauen gründeten. Aber ein Kind, dieses zarte Licht, einem Tier auszusetzen, dessen Atem es auf einen Schlag ausblasen könnte … Die Besorgnis des Ochsen und des Esels wurde nun noch dadurch verstärkt, dass es sich geziemte, wie sie wohl einsahen, in Gegenwart des Löwen völlig gelähmt dazustehen. Sie konnten sich ebenso wenig einfallen lassen, ihn anzugreifen, wie etwa den Donner oder den Blitz. Und der vom Fasten geschwächte Ochse fühlte sich überdies ätherisch als streitlustig.
Der Löwe kam herein mit seiner Mähne, die nichts anderes je gekämmt hatte als der Wüstenwind, und schwermütigen Augen, die Besagten: ‘Ich bin der Löwe, ich kann nichts dafür, ich bin nur der König der Tiere.’
Man merkte, dass sein Hauptanliegen darin bestand, im Stall möglichst wenig Platz einzunehmen, was gar nicht einfach war, zu atmen, ohne ringsum etwas um zu pusten, und seine einziehbaren Krallen und seine von überaus mächtigen Muskeln betätigten Kiefer zu vergessen. Er kam mit gesenkten Lidern heran, verbarg seine prächtigen Zähne wie eine schändliche Krankheit und bewies mit seiner großen Bescheidenheit, dass er offenkundig zu jenem Löwengeschlecht gehörte, das sich später einmal weigern sollte, die heilige Blandine zu verzehren. Die Jungfrau hatte Mitleid und wollte ihn mit einem jener Lächeln trösten, die sie ihrem Kind vorzubehalten pflegte. Der Löwe schaute unverwandt geradeaus und schien mit einem noch verzweifelteren Ton als vorher zu sagen: ‘Was habe ich denn getan, um so groß zu sein und so stark? Ihr wisst genau, dass ich stets nur vom Hunger und der frischen Luft getrieben gegessen habe. Und ihr versteht gewiss auch, dass ich für die jungen Löwen sorgen musste. Wir haben alle mehr oder weniger versucht, Pflanzenfresser zu sein. Aber das Gras ist nicht für uns gewachsen. Es rutscht nicht hinunter.’ Und nun neigte sich sein großer Kopf wie eine Explosion von Haar und Mähne und legte sich traurig auf den harten Boden, und der Pinsel an der Schwanzspitze schien ebenso niedergeschlagen wie sein Kopf, während ein tiefes Schweigen herrschte, das allen weh tat. Als der Tiger an der Reihe war, presste er sich platt auf den Boden, bis er vor lauter Kasteiungen und Sittenstrenge zu Füßen der Krippe ein richtiger Bettvorleger wurde. Dann nahm er in Sekundenschnelle und mit unglaublicher Genauigkeit und Geschmeidigkeit wieder seine vollständige Gestalt an und ging hinaus, ohne noch etwas hinzuzufügen.
Die Giraffe zeigte eine gute Weile ihre Füße unter der Tür, und alle waren sich darin einig, dass ‘das galt’, als hätte sie der Krippe ihren Besuch abgestattet. So ging es auch mit dem Elefanten: Er begnügte sich damit, vor der Schwelle niederzuknien und mit seinem Rüssel gewissermaßen ein Weihrauchfass zu schwingen, was von allen hoch geschätzt wurde. Ein Schaf mit gewaltig dicker Wolle begehrte auf der Stelle geschoren zu werden: Man ließ ihm jedoch sein Fell und dankte ihm für die gute Absicht. Die Kängurumutter wollte Jesus unbedingt eines ihrer Jungen schenken und versicherte, sie mache dieses Geschenk von Herzen gern, es sei gar kein Opfer für sie, dann daheim habe sie noch mehr kleine Kängurus. Aber Joseph ließ nicht mit sich reden, und sie musste ihr Kleines wieder mitnehmen. Der Strauß aber hatte mehr Glück: Er nutzte einen Augenblick der Unaufmerksamkeit, um in einem Winkel sein Ei zu legen und sich dann unauffällig zurückzuziehen. Das Andenken wurde am nächsten Morgen gefunden. Der Esel entdeckte es. Er hatte noch nie so ein großes und so hartes Ei gesehen und glaubte an ein Wunder. Joseph suchte ihm das so gut wie möglich auszureden: Er machte ein Omlett daraus. Die Fische, die nicht persönlich erscheinen konnten, weil ihre Atmung außerhalb des Wassers so kläglich versagt, hatten eine Möwe abgesandt, um sie zu vertreten. Die Vögel gingen fort und ließen ihre Lieder zurück, die Tauben ihr Lieben, die Affen ihre Schalkhaftigkeit, die Katzen ihren Blick, die Turteltauben ihr sanftes Gurren.
Und auch alle anderen Tiere hätten gerne kommen mögen, die noch nicht entdeckt sind und im Schoße der Erde oder des Meeres darauf warten, benannt zu werden, in so abgründigen Tiefen, dass sie von immer währender Nacht umgeben sind, ohne Sterne noch Mond, noch Jahreszeiten. Man spürte in der Luft den Flügelschlag all derer, die nicht hatten kommen können oder sich verspätet hatten, und anderer, die am Ende der Welt wohnten und sich dennoch auf den Weg gemacht hatten, auf ihren so winzigen Insektenfüßchen, dass sie höchstens einen Meter in der Stunde hätten zurücklegen können, und deren Leben so kurz war, dass sie nicht hoffen konnten, mehr als fünfzig Zentimeter hinter sich zu bringen – und auch das nur mit sehr viel Glück. Es gab auch Wunder: Die Schildkröte beeilte sich, der Leguan mäßigte seinen Gang, das Rhinozeros machte anmutige Kniebeugen, die Papageien schwiegen. Kurz vor Sonnenuntergang kam es zu einem Zwischenfall, der alle bekümmerte. Joseph, der den ganzen Tag über die Parade der Tiere geleitet hatte, ohne die geringste Nahrung zu sich zu nehmen, war jetzt müde und zerdrückte in einem Augenblick der Zerstreutheit eine Giftspinne mit dem Fuß, weil er vergaß, dass sie gekommen war, um dem Kind zu huldigen.
Und das fassungslose Gesicht des Heiligen versetzte alle eine ganze Weile in Bestürzung. Gewisse Tiere, von denen man größere Bescheidenheit erwartet hätte, säumten lange im Stall: Der Ochse musste den Marder, das Eichhörnchen und den Dachs hinausbefördern, weil sie nicht freiwillig gehen wollten. Ein paar Nachtfalter nutzten die Ähnlichkeit ihrer Farbe mit jener der Dachbalken, um die ganze Nacht oberhalb der Krippe zu verbringen. Aber der erste Sonnenstrahl verriet sie am nächsten Morgen, und da Joseph niemanden bevorzugen wollte, vertrieb er sie ungesäumt. Die Fliegen, die ebenfalls gebeten wurden zu verschwinden, leisteten der Aufforderung nur widerstrebend Folge, um dadurch klar zu machen, dass sie schon immer da gewesen waren, und Joseph wusste nicht, was er ihnen entgegnen sollte. (Aus: Der Ochs und der Esel im Stall zu Bethlehem, Jules Supervielle)
Wir haben Rosen gepflanzt – es wurden Dornen. Der Gärtner tröstet uns – die Rosen schlafen – man muss auch seine Dornenzeit lieben. (Rose Ausländer)
In der Heiligen Nacht sprachen die Hirten zueinander: „Kommt, lasset uns nach Bethlehem gehen und sehen, was da geschehen ist.“ – Und sie machten sich eilends auf. Jeder nahm ein Geschenk mit: Butter und Honig, einen Krug Milch, Wolle vom Schaf und ein warmes Lammfell. Nur ein Hirtenknabe hatte gar nichts zum Schenken. Er suchte auf der Winterflur nach einem Blümchen. Er fand keins. Da weinte er, und die Tränen fielen auf die harte Erde. Sogleich sprossen aus den Tränen Blumen hervor, die trugen Blüten wie Rosen. Fünf Blütenblätter, zart und weiß, standen zum Kelch zusammen, daraus ein Kranz von goldenen Staubgefäßen gleich einer Krone hervorleuchtete. Voll Freude pflückte der Knabe die Blumen und brachte sie dem Kind in der Krippe. Seit der Zeit blüht die Blume jedes Jahr in der Weihnachtsnacht auf, und die Menschen nennen sie Christrose.
Die Wüste und das trockene Land soll sich freuen, die Steppe soll jubeln und blühen. Sie soll prächtig blühen, blühen wie eine Rose, jubeln soll sie, jubeln und jauchzen. (Jesaja 35, 1-2)
Die echte ‘Rose von Jericho’ (Wüstenrose) ist in den Wüstengebieten von Israel, Jordanien, auf dem Sinai und Teilen Nordafrikas beheimatet. Die ‘Rose von Jericho’, auch Hand der Fatma genannt, ist ein Moosfarn und durch die Kreuzfahrer in Europa bekannt geworden. Die wertvollen Pflanzen wurden in den Familien weitervererbt und zu Ostern und Weihnachten aufgeblüht. Sie gilt hierzulande als Glücksbringerin und erhielt den Beinahmen Auferstehungspflanze. Die Wüstenrose überlebt lange Trockenperioden durch Einrollen der Stengel und Blätter. Durch das Zusammenrollen schützt die Pflanze ihren Vegetationspunkt. Sie ist auch im zusammengerollten Zustand nicht tot sondern nur in einer Art Stasis. Bei Regen entrollt sie sich und ergrünt. Die Rose von Jericho lebt nicht ewig und nach dem Regen benötigen sie auf jeden Fall Erde oder ähnlichen Untergrund. Der Wüstenrose ist es möglich, bis zu 33 Monate Trockenheit lebendig zu überstehen, jedoch nur mit Wurzeln in der Erde.
Ein Mann war mit einer Gruppe unterwegs in der Wüste. Plötzlich brach ein Sandsturm los, so stark, dass keiner mehr den anderen erkennen konnte. Jeder war auf sich selbst gestellt. Als der Sturm nachlies, stellte der Mann fest, dass er seine Gruppe verloren hatte. Er war allein. Nichts kam ihm mehr vertraut vor. Der Sturm hatte alle Spuren verweht. Nur die Sonne war an ihrem Platz und half ihm, die Richtung zu bestimmen. Schon nach kurzer Zeit quälte ihn der Durst. Mit aller Kraft versuchte er, vorwärts zu kommen. Doch je länger er unterwegs war, um so mutloser wurde er. Sand – nichts anderes umgab ihn. Erbarmungslos brannte die Sonne auf alles Leben, das sich regte. Allmählich spürte der Mann, dass ihn seine Kräfte verließen. Wenn ich nicht bald etwas zu trinken finde, muss ich sterben, dachte er und schleppte sich weiter. Bis zum Abend fand er kein Wasser und keinen Menschen und war kurz davor, aus Verzweiflung aufzugeben. Erschöpft sank er nieder. Da spürte er neben sich eine Pflanze. Vorsichtig tastete er sie ab. Sie war ganz vertrocknet und hart. Hässlich grau ragte sie aus dem sandigen Boden. So wird es mir auch bald ergehen, dachte er. Verdorren wird alles Leben in mir. Die Pflanze zeigt mir mein Schicksal. Noch einmal wollte er sich aufraffen, doch er konnte keinen Schritt mehr gehen. Er schlief ein. Wirre Träume quälten ihn. Gegen Morgen wachte er fröstelnd auf. Die Nacht war kalt und sternenklar gewesen. Ihn fror. Wie mag es meiner Nachbarin, der Pflanze, gehen, dachte er und tastete nach ihr. Doch was war das? Sie fühlte sich ganz anders an als vorher. Erstaunt betrachtete sie der erschöpfte Mann: Die Pflanze war grün geworden und hatte Ästchen und Zweige wie eine Rose entfaltet. Der Tau der Nacht hatte dies bewirkt. Nur ein wenig Feuchtigkeit hatte so viel Leben entstehen lassen. „Gestern warst du für mich die Ankündigung des Todes“, rief der Mann. „Willst du mir heute Mut machen zum Leben?“ Vorsichtig grub er die Pflanze aus. „Du kommst mit! Immer will ich dich spüren und sehen können. Wenn ich mutlos werde, sollst du mir Hoffnung geben!“ Der Verdurstende schleppte sich mutlos weiter vorwärts, doch er gab nicht auf. Immer wieder sah er seine Pflanze an und richtete sich wieder auf. Schließlich fand ihn eine Karawane. Menschen gaben ihm zu trinken und pflegten ihn. „Ohne die Pflanze hätte ich aufgegeben“, stammelte er mit dürren Lippen. „Nur wer Hoffnung hat, kann kämpfen.“ Die Beduinen lächelten. Sie kannten die „Rose von Jericho“ und ahnten, was er sagte, obwohl sie seine Sprache nicht verstanden. Solange der Mensch nur einen Funken Hoffnung auf Leben entfachen kann, ist er bereit zu kämpfen und hat die Kraft und den Mut, größere Durststrecken zu ertragen.
Von der ‘Wüstenrose’ zu unterscheiden ist die sog. ‘Sandrose’ – ein bizarres Kristallgebilde, das meist aus Sandkörnern besteht, die in einen Kristall aus Gips eingebettet sind. Die wasserlöslichen Rosen entstehen in heißen und trockenen Wüstengebieten. Durch schnell verdunstende Oberflächenfeuchtigkeit wird Grundwasser durch Kapillarkräfte nach oben gefördert. Die im Wasser enthaltenen Mineralien kristallisieren durch die fortschreitende Verdunstung aus und bilden zusammen mit dem Sand die charakteristische, rosenförmige Kristallstruktur. Diese findet man nur in der Sahara in Nordafrika.
‚Wann werde ich dich wieder sehen, du Zauberland, du unwiederbringliches Land des Schweigens und der Ruhe, fern von der lärmenden Welt, du Land des Traumes und der Trugbilder, das die Unruhen Europas ungerührt an sich vorüber ziehen lässt?‘ (Isabelle Eberhardt)
Im demütigen Schweigen lässt sich die innere Stimme vernehmen. Wer sich auf die Stille, auf das Innere des Lebens einlässt, vermag sich selbst zu finden. In der Konzentration auf das Wesentliche kann der Mensch dem Wesentlichen begegnen. Die Wüste ist nicht nur Schule zur Stille, sondern auch Schule zur Konzentration: Konzentration der Sinne, Konzentration auf das, was wichtig ist, auf das, was bleibt. Auf dem Weg durch die Wüste werden Worte weniger. Doch die wenigen Worte, die aus dem Schweigen erwachsen, werden wertvoll wie eine einsame Wüstenblume. Ruhe des Körpers und Stille im Geist sind die Schlüssel zum Eingang in die Seele – unserem inneren Zuhause, in dem wir voll und ganz geborgen sind, jenseits von Zweifel, Angst und Suche. Das Paradies wartet in uns. Wir brauchen es nur aufzusuchen. Muße erfordert der Weg, Geduld, viel Liebe als Reiseproviant – und absichtslose Zielbewusstheit. (Hans Kruppa)
‘Jede Nacht draußen am Rande der Unendlichkeit ist ein einmaliges Erleben, so als gäbe es die Nächte davor nicht, so als wäre ich das erste Mal hier draußen in der Leere, aus geschlossen von den Menschen und doch mitten im Leben, so sehr in meiner eigenen Mitte. Ich bin allein mit mir, mit meinem Atem und meinem Herzschlag. Die Stille anzunehmen erfordert Mut, Mut, alle falschen Stimmen in mir zum Schweigen zu bringen und nur auf das zu hören, was wirklich aus meinem Herzen kommt. Nichts ist in der Wüste selbstverständlich. Jede Wahrnehmung, auch die der eigenen Gedanken und Gefühle, fordert dich heraus. Du musst Stellung beziehen zu allem, was geschieht: zur sengenden Sonne ebenso wie zum flackernden Sternenhimmel, zu deinen Gefühlen der Freude ebenso wie zu deinen Ängsten. Aber letztlich trägt dich die Stille, sie flüstert dir zu: Lass den Dingen einfach ihren Lauf.’ (Jürgen Werner)
‚Und so gibt es auf den Straßen der Wüste lange Stunden ohne Traurigkeit, ohne Langeweile, unbestimmt und erholsam, in denen man vom Schweigen leben kann.‘ (Isabelle Eberhardt)
‘Durchqueren wir die Wüste, durchqueren wir einen Raum der Stille und Unermesslichkeit. Nichts, was den Blick ablenkt, keine flackernden Bilder, niemand, der etwas von uns fordert, außer wir von uns selbst. Und unser Schweigen entspricht dem Atem der Wüste. Die Stille umfängt uns – anfangs vielleicht bedrohlich, dann aber sickert sie ein in unsere Seele und lässt sie schließlich im Gleichklang schwingen mit der Weite und Ruhe der Landschaft. Die Wüste reduziert den Menschen auf das Wesentliche. In ihrer Monumentalität zwingt sie uns ihr Gesetz auf, nimmt uns gefangen und bietet uns doch auch die Möglichkeit zur Freiheit. Die Fremdheit der Wüste, in der sich unser Wahrnehmen und Handeln auf das Wesentliche beschränkt, ist ein Ort, der uns auf radikale Weise mit uns selbst konfrontiert. Genau darin liegt die Möglichkeit zur Freiheit.’ (Jürgen Müller)
‘Und ich erkannte, dass sie die Stille nötig hatten. Denn nur in der Stille kann die Wahrheit eines jeden Früchte ansetzen und Wurzeln schlagen. Stille des Menschen, der sich aufstützt und nach denkt. Stille, die ihn erkennen lässt. Stille, die dich bei der Entfaltung behütet. Stille des Herzens. Stille der Sinne. Stille der inneren Worte, denn es ist gut, wenn du Gott wieder findest, der die Stille im Ewigen ist. Wie baut denn das Leben jene Kraftfelder auf, von denen wir leben? Wie wenig Lärm machen die wirklichen Wunder! Wie einfach sind die wesentlichen Ereignisse! Das Erhabene bringt das Gefühl für die wirkliche Weite – doch diese ist nicht für das Auge, sie wird nur dem Geist gewährt. (Antoine de Saint-Exupery)
Vom Leben in der Stille Wasser reinigt den Körper – die Wüste reinigt Seele und Geist. Wer in die Wüste geht, wird nicht der selbe bleiben, der er vorher war. Es gibt eine Wahrheit, die der Kopf nicht findet. Nur die Seele kann sie erspüren. Sprache, die Tochter des Kopfes, kann sie nicht sagen. Nur das Schweigen, das Kind der Seele, kann sie ausstrahlen. Der Weg zur Weisheit führt durch die Wüste.
Die Wahrheit der Wüste offenbart sich in ihrer Stille. (Nomadisches Sprichwort)
Zu einem Einsiedler kamen zwei Freunde, aus früheren Tagen. Sie baten ihn, er möge ihnen aufrichtig sagen, was er in der Wüste gewonnen habe. Er schwieg eine Weile, dann goss er Wasser in eine Schale und sagte ihnen, sie sollten hineinschauen. Das Wasser war aber noch ganz unruhig. Nach einiger Zeit ließ er sie wieder hineinschauen und sprach. ‘Seht, wie ruhig das Wasser ist.’ Und sie schauten hinein und erblickten ihr Angesicht wie in einem Spiegel. Darauf sagte er: ‘Das ist die Erfahrung der Stille. Wer sich ruhig hält, und besonders in der Einsamkeit, der wird bald sich selber sehen.’
‚Das ist mein wahres Leben, das Leben eines ungebundenen Geistes, der sich von tausend alltäglichen Zwängen befreit hat und der durstig ist nach einem Leben unter freiem Himmel und im hellen, schillernden Licht der Sonne. Solange es die wunderbare Weite der Sahara gibt, habe ich immer eine Zuflucht, wo meine geplagte Seele sich von den kleinlichen Sorgen des modernen Lebens erholen kann.’ (Isabelle Eberhardt)