‚Wer gibt mir die schweigenden Nächte zurück, die müßigen Streifzüge durch die salzigen Ebenen? Ich liebe diesen Ort, ich liebe das Leben des Orients, es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass es zu Ende ist.‘ (Isabelle Eberhardt)
Die Wüste ist kein Platz, an dem wir dauerhaft verweilen können. Aufbruch und Abschied, Unterwegssein von einem Ort zum nächsten ist die der Wüste gemäße Lebensart. In der Wüste gibt es keinen Stillstand. In der Wüste sein, heißt immer auf Reisen sein. Und wie jede andere Reise auch, findet die spirituelle Wüstenreise durch den Advent schließlich ihr Ende. Und das ist auch gut so. Wir stehen in unserer eigenen Welt, in unserem Alltag, der oft so völlig anders ist als all die Tage in der besinnlichen Weihnachtszeit. Doch vielleicht spüren wir, dass die spirituelle ‘Reise durch die Wüste’ uns ein wenig verändert hat, Spuren in uns hinterlassen hat. Noch sind diese adventlichen Spuren nicht verwischt, noch sind unsere Sinne geschärft, und die Eindrücke frisch: sowohl in unserem Gedächtnis als auch in unserem Körper. Gleichzeitig spürt man vielleicht auch die Sorge, dass all das, was wir als wichtig erkannt haben, vom Alltag verweht wird. Wir befürchten, dass die Spuren, die wir in unserer Seele gelegt haben, vom Geröll des täglichen Einerleis allmählich verschüttet werden. Der Alltag hat uns wieder, die Reise im Advent ist zu Ende. Aber muss deshalb unsere innere Reise zwangsweise auch zu Ende sein? Nein – denn Wege entstehen dadurch, dass wir sie gehen. Im Advent sind wir einen Weg gegangen, haben uns einen Weg durch die Wüste erwandert, auch einen Weg zu uns selbst. Und wenn der Weg durch die Weihnachtszeit auch sein Ende gefunden hat, so heißt das noch lange nicht, dass unser innerer Weg ebenfalls an ein Ende gekommen ist. Es gibt keinen Grund, innezuhalten. Gehen wir einfach weiter, so wird ein neuer Weg entstehen.
So muss es sein. So werden wir es immer machen! Wir sind immer unterwegs. (Ingeborg Bachmann)
Aus der christlichen Überlieferung kennen wir sie als die ‘Heiligen drei Könige’. Sie repräsentieren die Könige der Völker und huldigen dem wahren König im Kind von Betlehem. Oft werden sie auch Magier genannt. Als solche sind sie Träger eines Bundes mit Gott, die sein himmlisches Zeichen deuten und aufbrechen zum noch unbekannten Zielort. Und als die Weisen aus dem Morgenland vertrauen sie sich der Führung Gottes und seines Sterns an. Sie machen dabei die überraschende Entdeckung: Was der Stern sagt, erweist sich auf Erden als wahr, wenn auch anders als sie es sich vorgestellt hatten. Wie immer wir die Sterndeuter nennen – die Erzählung spricht von einer tiefen Sehnsucht des Menschen nach einem Leben, in dem wir sein können, wie wir wirklich sind. Die Sehnsucht der Sterndeuter wird nicht gleich erfüllt. Sie suchen und fragen, verirren sich und müssen sich mit einer Welt auseinander setzen, die auch uns hinreichend bekannt ist. Die Sterndeuter entdecken inmitten der Dunkelheit einen Stern, ihre Sehnsucht findet eine Orientierung. Geleitet vom Stern, brechen sie aus ihrem gewohnten und gesicherten Lebensalltag auf, geben ihrer Sehnsucht Raum und begeben sich auf eine Pilgerreise durch Wüste und Einsamkeit, setzen sich dem Zweifel aus bis zu dem Ort, den der Stern ihnen zeigt. Er beleuchtet eine dunkle Szene, in der sie neues Leben erkennen. Es wird erzählt, die Sterndeuter hätten drei Geschenke mitgebracht: Gold, Weihrauch und Myrrhe – eine dreifache Botschaft. Gold: der Mensch ist wertvoller als alles andere auf Erden. In jedem Menschen gibt es dieses ‘Gold’, seine Würde und Einmaligkeit, seine Freiheit und Verantwortung zu entdecken. Weihrauch: das Zeichen der Sehnsucht, die sich ausbreitet und erhebt, indem sie nach Sinn fragt und sucht und wahrhaft neues leben gestaltet. Myrrhe: Symbol der Linderung von Schmerz und Leid, der menschlichen Begrenztheit, Schwäche und Angst. Sie erinnert daran, die eigenen Schwächen und die anderer zu tragen und Barmherzigkeit zu leben.
‘Jede Reise, die uns in die Wüste führt, ist eine Reise weit fort von unserem alltäglichen Erleben, fort von einem Leben, das häufig geprägt ist von Verpflichtungen, Verantwortlichkeit und Zeitdruck. Nur selten finden wir Muße, innezuhalten und uns umzusehen, wo wir uns eigentlich befinden, wo unser Herz, unsere Seele zu Hause sind. Und finden wir gelegentlich doch einen Augenblick der Ruhe und Besinnung, stellen wir oft mit Schrecken fest, dass wir uns verlaufen haben und unser Leben in eine Sackgasse geraten ist. Wir besitzen keinen Plan mehr, wie es mit uns weitergehen soll. Wir haben die Orientierung verloren wie der Wanderer oder Sterndeuter, der plötzlich stirnrunzelnd innehält und sich suchend umsieht. Aber wir haben selten Zeit genug, lange einzuhalten und uns zu orientieren. Verwirrt verweilen wir einen Augenblick am Rand unseres Alltags; dann aber müssen wir weiter, denn wir sind davon überzeugt: Das Leben hält nicht still für uns.’ (Jürgen Müller)
‘Nur wer die Wüste durchquert, gelangt ins gelobte Land.’ (Johannes Bosco)
‘Durch die Vermittlung des Ochsen und des Esels baten mehrere Tiere darum, das Jesuskind kennen zu lernen. Und eines schönen Tages beauftragte der Ochse mit Josephs Einverständnis ein für seine Geselligkeit und Schnelligkeit bekanntes Pferd, gleich am folgenden Tage alle diejenigen einzuladen, die kommen wollten. Der Esel und der Ochs fragten sich, ob man die reißenden Tiere würde eintreten lassen, und auch die Dromedare, Kamele, Elefanten, lauter Tiere, die ihrer Buckel, Rüssel und allgemeinen Überfülle an Knochen und Fleisch wegen ein bisschen verdächtig waren.
Die Frage stellte sich auch für die abscheulichen Insekten wie die Skorpione, die Taranteln, die großen Vogelspinnen, die Vipern, für all die männlichen und weiblichen Wesen, die in ihren Drüsen am Tag so gut wie in der Nacht Gift erzeugten, ja sogar im Morgengrauen, wenn alles rein ist. Die Jungfrau zögerte nicht. ‘Ihr könnt sie alle hereinlassen, mein Kind ist in seiner Krippe ebenso sicher geborgen wie am höchsten Punkt des Himmels.’ ‘Und eines nach dem anderen!’ fügte Joseph in beinahe militärischem Ton hinzu. ‘Ich will nicht, dass zwei Tiere aufs Mal zur Tür hereinkommen, sonst gibt es ein Durcheinander.’ Man begann mit den giftigen Tieren, weil jedermann das Gefühl hatte, man sei ihnen diese Genugtuung eigentlich schuldig. Was besonders auffiel. War das taktvolle Benehmen der Schlangen, die es vermieden, die Jungfrau anzublicken, und so weit wie möglich von ihr entfernt vorbeizogen.
Und sie gingen mit ebensoviel Ruhe und Würde wieder hinaus, als wären sie Tauben oder Wachhunde. Es gab auch so winzige Tierchen, dass sich nur schwer feststellen ließ, ob sie schon drinnen waren oder noch draußen verharrten. Eine ganze Stunde wurde den Atomen gewährt, um ihre Aufwartung zu machen und die Krippe zu umkreisen. Nach Ablauf der Frist hieß Joseph die nächsten Tiere sich vorstellen, obschon er am leichten Prickeln der Haut bemerkte, dass noch nicht alle anderen den Raum verlassen hatten. Die Hunde konnten nicht umhin, ihrem Erstaunen Ausdruck zu geben: Es war ihnen nicht gestattet worden, wie der Ochs und der Esel im Stall Wohnung zu nehmen. Zum Trost wurden sie von allen gestreichelt. Da zogen sie sich, von sichtbarer Dankbarkeit erfüllt, zurück. Als nun aber am Geruch merkbar wurde, dass der Löwe sich näherte, war es dem Ochsen und dem Esel doch nicht recht wohl. Und zwar um so weniger, als dieser Geruch ohne die geringste Rücksicht auf den Duft von Weihrauch und Myrrhen durchdrang, und alle anderen Wohlgerüche, die von den drei Weisen so reichlich verbreitet worden waren. Der Ochse wusste die großzügigen Überlegungen zu würdigen, auf die Joseph und die Jungfrau ihr Vertrauen gründeten. Aber ein Kind, dieses zarte Licht, einem Tier auszusetzen, dessen Atem es auf einen Schlag ausblasen könnte … Die Besorgnis des Ochsen und des Esels wurde nun noch dadurch verstärkt, dass es sich geziemte, wie sie wohl einsahen, in Gegenwart des Löwen völlig gelähmt dazustehen. Sie konnten sich ebenso wenig einfallen lassen, ihn anzugreifen, wie etwa den Donner oder den Blitz. Und der vom Fasten geschwächte Ochse fühlte sich überdies ätherisch als streitlustig.
Der Löwe kam herein mit seiner Mähne, die nichts anderes je gekämmt hatte als der Wüstenwind, und schwermütigen Augen, die Besagten: ‘Ich bin der Löwe, ich kann nichts dafür, ich bin nur der König der Tiere.’
Man merkte, dass sein Hauptanliegen darin bestand, im Stall möglichst wenig Platz einzunehmen, was gar nicht einfach war, zu atmen, ohne ringsum etwas um zu pusten, und seine einziehbaren Krallen und seine von überaus mächtigen Muskeln betätigten Kiefer zu vergessen. Er kam mit gesenkten Lidern heran, verbarg seine prächtigen Zähne wie eine schändliche Krankheit und bewies mit seiner großen Bescheidenheit, dass er offenkundig zu jenem Löwengeschlecht gehörte, das sich später einmal weigern sollte, die heilige Blandine zu verzehren. Die Jungfrau hatte Mitleid und wollte ihn mit einem jener Lächeln trösten, die sie ihrem Kind vorzubehalten pflegte. Der Löwe schaute unverwandt geradeaus und schien mit einem noch verzweifelteren Ton als vorher zu sagen: ‘Was habe ich denn getan, um so groß zu sein und so stark? Ihr wisst genau, dass ich stets nur vom Hunger und der frischen Luft getrieben gegessen habe. Und ihr versteht gewiss auch, dass ich für die jungen Löwen sorgen musste. Wir haben alle mehr oder weniger versucht, Pflanzenfresser zu sein. Aber das Gras ist nicht für uns gewachsen. Es rutscht nicht hinunter.’ Und nun neigte sich sein großer Kopf wie eine Explosion von Haar und Mähne und legte sich traurig auf den harten Boden, und der Pinsel an der Schwanzspitze schien ebenso niedergeschlagen wie sein Kopf, während ein tiefes Schweigen herrschte, das allen weh tat. Als der Tiger an der Reihe war, presste er sich platt auf den Boden, bis er vor lauter Kasteiungen und Sittenstrenge zu Füßen der Krippe ein richtiger Bettvorleger wurde. Dann nahm er in Sekundenschnelle und mit unglaublicher Genauigkeit und Geschmeidigkeit wieder seine vollständige Gestalt an und ging hinaus, ohne noch etwas hinzuzufügen.
Die Giraffe zeigte eine gute Weile ihre Füße unter der Tür, und alle waren sich darin einig, dass ‘das galt’, als hätte sie der Krippe ihren Besuch abgestattet. So ging es auch mit dem Elefanten: Er begnügte sich damit, vor der Schwelle niederzuknien und mit seinem Rüssel gewissermaßen ein Weihrauchfass zu schwingen, was von allen hoch geschätzt wurde. Ein Schaf mit gewaltig dicker Wolle begehrte auf der Stelle geschoren zu werden: Man ließ ihm jedoch sein Fell und dankte ihm für die gute Absicht. Die Kängurumutter wollte Jesus unbedingt eines ihrer Jungen schenken und versicherte, sie mache dieses Geschenk von Herzen gern, es sei gar kein Opfer für sie, dann daheim habe sie noch mehr kleine Kängurus. Aber Joseph ließ nicht mit sich reden, und sie musste ihr Kleines wieder mitnehmen. Der Strauß aber hatte mehr Glück: Er nutzte einen Augenblick der Unaufmerksamkeit, um in einem Winkel sein Ei zu legen und sich dann unauffällig zurückzuziehen. Das Andenken wurde am nächsten Morgen gefunden. Der Esel entdeckte es. Er hatte noch nie so ein großes und so hartes Ei gesehen und glaubte an ein Wunder. Joseph suchte ihm das so gut wie möglich auszureden: Er machte ein Omlett daraus. Die Fische, die nicht persönlich erscheinen konnten, weil ihre Atmung außerhalb des Wassers so kläglich versagt, hatten eine Möwe abgesandt, um sie zu vertreten. Die Vögel gingen fort und ließen ihre Lieder zurück, die Tauben ihr Lieben, die Affen ihre Schalkhaftigkeit, die Katzen ihren Blick, die Turteltauben ihr sanftes Gurren.
Und auch alle anderen Tiere hätten gerne kommen mögen, die noch nicht entdeckt sind und im Schoße der Erde oder des Meeres darauf warten, benannt zu werden, in so abgründigen Tiefen, dass sie von immer währender Nacht umgeben sind, ohne Sterne noch Mond, noch Jahreszeiten. Man spürte in der Luft den Flügelschlag all derer, die nicht hatten kommen können oder sich verspätet hatten, und anderer, die am Ende der Welt wohnten und sich dennoch auf den Weg gemacht hatten, auf ihren so winzigen Insektenfüßchen, dass sie höchstens einen Meter in der Stunde hätten zurücklegen können, und deren Leben so kurz war, dass sie nicht hoffen konnten, mehr als fünfzig Zentimeter hinter sich zu bringen – und auch das nur mit sehr viel Glück. Es gab auch Wunder: Die Schildkröte beeilte sich, der Leguan mäßigte seinen Gang, das Rhinozeros machte anmutige Kniebeugen, die Papageien schwiegen. Kurz vor Sonnenuntergang kam es zu einem Zwischenfall, der alle bekümmerte. Joseph, der den ganzen Tag über die Parade der Tiere geleitet hatte, ohne die geringste Nahrung zu sich zu nehmen, war jetzt müde und zerdrückte in einem Augenblick der Zerstreutheit eine Giftspinne mit dem Fuß, weil er vergaß, dass sie gekommen war, um dem Kind zu huldigen.
Und das fassungslose Gesicht des Heiligen versetzte alle eine ganze Weile in Bestürzung. Gewisse Tiere, von denen man größere Bescheidenheit erwartet hätte, säumten lange im Stall: Der Ochse musste den Marder, das Eichhörnchen und den Dachs hinausbefördern, weil sie nicht freiwillig gehen wollten. Ein paar Nachtfalter nutzten die Ähnlichkeit ihrer Farbe mit jener der Dachbalken, um die ganze Nacht oberhalb der Krippe zu verbringen. Aber der erste Sonnenstrahl verriet sie am nächsten Morgen, und da Joseph niemanden bevorzugen wollte, vertrieb er sie ungesäumt. Die Fliegen, die ebenfalls gebeten wurden zu verschwinden, leisteten der Aufforderung nur widerstrebend Folge, um dadurch klar zu machen, dass sie schon immer da gewesen waren, und Joseph wusste nicht, was er ihnen entgegnen sollte. (Aus: Der Ochs und der Esel im Stall zu Bethlehem, Jules Supervielle)
Wir haben Rosen gepflanzt – es wurden Dornen. Der Gärtner tröstet uns – die Rosen schlafen – man muss auch seine Dornenzeit lieben. (Rose Ausländer)
In der Heiligen Nacht sprachen die Hirten zueinander: „Kommt, lasset uns nach Bethlehem gehen und sehen, was da geschehen ist.“ – Und sie machten sich eilends auf. Jeder nahm ein Geschenk mit: Butter und Honig, einen Krug Milch, Wolle vom Schaf und ein warmes Lammfell. Nur ein Hirtenknabe hatte gar nichts zum Schenken. Er suchte auf der Winterflur nach einem Blümchen. Er fand keins. Da weinte er, und die Tränen fielen auf die harte Erde. Sogleich sprossen aus den Tränen Blumen hervor, die trugen Blüten wie Rosen. Fünf Blütenblätter, zart und weiß, standen zum Kelch zusammen, daraus ein Kranz von goldenen Staubgefäßen gleich einer Krone hervorleuchtete. Voll Freude pflückte der Knabe die Blumen und brachte sie dem Kind in der Krippe. Seit der Zeit blüht die Blume jedes Jahr in der Weihnachtsnacht auf, und die Menschen nennen sie Christrose.
Die Wüste und das trockene Land soll sich freuen, die Steppe soll jubeln und blühen. Sie soll prächtig blühen, blühen wie eine Rose, jubeln soll sie, jubeln und jauchzen. (Jesaja 35, 1-2)
Die echte ‘Rose von Jericho’ (Wüstenrose) ist in den Wüstengebieten von Israel, Jordanien, auf dem Sinai und Teilen Nordafrikas beheimatet. Die ‘Rose von Jericho’, auch Hand der Fatma genannt, ist ein Moosfarn und durch die Kreuzfahrer in Europa bekannt geworden. Die wertvollen Pflanzen wurden in den Familien weitervererbt und zu Ostern und Weihnachten aufgeblüht. Sie gilt hierzulande als Glücksbringerin und erhielt den Beinahmen Auferstehungspflanze. Die Wüstenrose überlebt lange Trockenperioden durch Einrollen der Stengel und Blätter. Durch das Zusammenrollen schützt die Pflanze ihren Vegetationspunkt. Sie ist auch im zusammengerollten Zustand nicht tot sondern nur in einer Art Stasis. Bei Regen entrollt sie sich und ergrünt. Die Rose von Jericho lebt nicht ewig und nach dem Regen benötigen sie auf jeden Fall Erde oder ähnlichen Untergrund. Der Wüstenrose ist es möglich, bis zu 33 Monate Trockenheit lebendig zu überstehen, jedoch nur mit Wurzeln in der Erde.
Ein Mann war mit einer Gruppe unterwegs in der Wüste. Plötzlich brach ein Sandsturm los, so stark, dass keiner mehr den anderen erkennen konnte. Jeder war auf sich selbst gestellt. Als der Sturm nachlies, stellte der Mann fest, dass er seine Gruppe verloren hatte. Er war allein. Nichts kam ihm mehr vertraut vor. Der Sturm hatte alle Spuren verweht. Nur die Sonne war an ihrem Platz und half ihm, die Richtung zu bestimmen. Schon nach kurzer Zeit quälte ihn der Durst. Mit aller Kraft versuchte er, vorwärts zu kommen. Doch je länger er unterwegs war, um so mutloser wurde er. Sand – nichts anderes umgab ihn. Erbarmungslos brannte die Sonne auf alles Leben, das sich regte. Allmählich spürte der Mann, dass ihn seine Kräfte verließen. Wenn ich nicht bald etwas zu trinken finde, muss ich sterben, dachte er und schleppte sich weiter. Bis zum Abend fand er kein Wasser und keinen Menschen und war kurz davor, aus Verzweiflung aufzugeben. Erschöpft sank er nieder. Da spürte er neben sich eine Pflanze. Vorsichtig tastete er sie ab. Sie war ganz vertrocknet und hart. Hässlich grau ragte sie aus dem sandigen Boden. So wird es mir auch bald ergehen, dachte er. Verdorren wird alles Leben in mir. Die Pflanze zeigt mir mein Schicksal. Noch einmal wollte er sich aufraffen, doch er konnte keinen Schritt mehr gehen. Er schlief ein. Wirre Träume quälten ihn. Gegen Morgen wachte er fröstelnd auf. Die Nacht war kalt und sternenklar gewesen. Ihn fror. Wie mag es meiner Nachbarin, der Pflanze, gehen, dachte er und tastete nach ihr. Doch was war das? Sie fühlte sich ganz anders an als vorher. Erstaunt betrachtete sie der erschöpfte Mann: Die Pflanze war grün geworden und hatte Ästchen und Zweige wie eine Rose entfaltet. Der Tau der Nacht hatte dies bewirkt. Nur ein wenig Feuchtigkeit hatte so viel Leben entstehen lassen. „Gestern warst du für mich die Ankündigung des Todes“, rief der Mann. „Willst du mir heute Mut machen zum Leben?“ Vorsichtig grub er die Pflanze aus. „Du kommst mit! Immer will ich dich spüren und sehen können. Wenn ich mutlos werde, sollst du mir Hoffnung geben!“ Der Verdurstende schleppte sich mutlos weiter vorwärts, doch er gab nicht auf. Immer wieder sah er seine Pflanze an und richtete sich wieder auf. Schließlich fand ihn eine Karawane. Menschen gaben ihm zu trinken und pflegten ihn. „Ohne die Pflanze hätte ich aufgegeben“, stammelte er mit dürren Lippen. „Nur wer Hoffnung hat, kann kämpfen.“ Die Beduinen lächelten. Sie kannten die „Rose von Jericho“ und ahnten, was er sagte, obwohl sie seine Sprache nicht verstanden. Solange der Mensch nur einen Funken Hoffnung auf Leben entfachen kann, ist er bereit zu kämpfen und hat die Kraft und den Mut, größere Durststrecken zu ertragen.
Von der ‘Wüstenrose’ zu unterscheiden ist die sog. ‘Sandrose’ – ein bizarres Kristallgebilde, das meist aus Sandkörnern besteht, die in einen Kristall aus Gips eingebettet sind. Die wasserlöslichen Rosen entstehen in heißen und trockenen Wüstengebieten. Durch schnell verdunstende Oberflächenfeuchtigkeit wird Grundwasser durch Kapillarkräfte nach oben gefördert. Die im Wasser enthaltenen Mineralien kristallisieren durch die fortschreitende Verdunstung aus und bilden zusammen mit dem Sand die charakteristische, rosenförmige Kristallstruktur. Diese findet man nur in der Sahara in Nordafrika.
‚Wann werde ich dich wieder sehen, du Zauberland, du unwiederbringliches Land des Schweigens und der Ruhe, fern von der lärmenden Welt, du Land des Traumes und der Trugbilder, das die Unruhen Europas ungerührt an sich vorüber ziehen lässt?‘ (Isabelle Eberhardt)
Im demütigen Schweigen lässt sich die innere Stimme vernehmen. Wer sich auf die Stille, auf das Innere des Lebens einlässt, vermag sich selbst zu finden. In der Konzentration auf das Wesentliche kann der Mensch dem Wesentlichen begegnen. Die Wüste ist nicht nur Schule zur Stille, sondern auch Schule zur Konzentration: Konzentration der Sinne, Konzentration auf das, was wichtig ist, auf das, was bleibt. Auf dem Weg durch die Wüste werden Worte weniger. Doch die wenigen Worte, die aus dem Schweigen erwachsen, werden wertvoll wie eine einsame Wüstenblume. Ruhe des Körpers und Stille im Geist sind die Schlüssel zum Eingang in die Seele – unserem inneren Zuhause, in dem wir voll und ganz geborgen sind, jenseits von Zweifel, Angst und Suche. Das Paradies wartet in uns. Wir brauchen es nur aufzusuchen. Muße erfordert der Weg, Geduld, viel Liebe als Reiseproviant – und absichtslose Zielbewusstheit. (Hans Kruppa)
‘Jede Nacht draußen am Rande der Unendlichkeit ist ein einmaliges Erleben, so als gäbe es die Nächte davor nicht, so als wäre ich das erste Mal hier draußen in der Leere, aus geschlossen von den Menschen und doch mitten im Leben, so sehr in meiner eigenen Mitte. Ich bin allein mit mir, mit meinem Atem und meinem Herzschlag. Die Stille anzunehmen erfordert Mut, Mut, alle falschen Stimmen in mir zum Schweigen zu bringen und nur auf das zu hören, was wirklich aus meinem Herzen kommt. Nichts ist in der Wüste selbstverständlich. Jede Wahrnehmung, auch die der eigenen Gedanken und Gefühle, fordert dich heraus. Du musst Stellung beziehen zu allem, was geschieht: zur sengenden Sonne ebenso wie zum flackernden Sternenhimmel, zu deinen Gefühlen der Freude ebenso wie zu deinen Ängsten. Aber letztlich trägt dich die Stille, sie flüstert dir zu: Lass den Dingen einfach ihren Lauf.’ (Jürgen Werner)
‚Und so gibt es auf den Straßen der Wüste lange Stunden ohne Traurigkeit, ohne Langeweile, unbestimmt und erholsam, in denen man vom Schweigen leben kann.‘ (Isabelle Eberhardt)
‘Durchqueren wir die Wüste, durchqueren wir einen Raum der Stille und Unermesslichkeit. Nichts, was den Blick ablenkt, keine flackernden Bilder, niemand, der etwas von uns fordert, außer wir von uns selbst. Und unser Schweigen entspricht dem Atem der Wüste. Die Stille umfängt uns – anfangs vielleicht bedrohlich, dann aber sickert sie ein in unsere Seele und lässt sie schließlich im Gleichklang schwingen mit der Weite und Ruhe der Landschaft. Die Wüste reduziert den Menschen auf das Wesentliche. In ihrer Monumentalität zwingt sie uns ihr Gesetz auf, nimmt uns gefangen und bietet uns doch auch die Möglichkeit zur Freiheit. Die Fremdheit der Wüste, in der sich unser Wahrnehmen und Handeln auf das Wesentliche beschränkt, ist ein Ort, der uns auf radikale Weise mit uns selbst konfrontiert. Genau darin liegt die Möglichkeit zur Freiheit.’ (Jürgen Müller)
‘Und ich erkannte, dass sie die Stille nötig hatten. Denn nur in der Stille kann die Wahrheit eines jeden Früchte ansetzen und Wurzeln schlagen. Stille des Menschen, der sich aufstützt und nach denkt. Stille, die ihn erkennen lässt. Stille, die dich bei der Entfaltung behütet. Stille des Herzens. Stille der Sinne. Stille der inneren Worte, denn es ist gut, wenn du Gott wieder findest, der die Stille im Ewigen ist. Wie baut denn das Leben jene Kraftfelder auf, von denen wir leben? Wie wenig Lärm machen die wirklichen Wunder! Wie einfach sind die wesentlichen Ereignisse! Das Erhabene bringt das Gefühl für die wirkliche Weite – doch diese ist nicht für das Auge, sie wird nur dem Geist gewährt. (Antoine de Saint-Exupery)
Vom Leben in der Stille Wasser reinigt den Körper – die Wüste reinigt Seele und Geist. Wer in die Wüste geht, wird nicht der selbe bleiben, der er vorher war. Es gibt eine Wahrheit, die der Kopf nicht findet. Nur die Seele kann sie erspüren. Sprache, die Tochter des Kopfes, kann sie nicht sagen. Nur das Schweigen, das Kind der Seele, kann sie ausstrahlen. Der Weg zur Weisheit führt durch die Wüste.
Die Wahrheit der Wüste offenbart sich in ihrer Stille. (Nomadisches Sprichwort)
Zu einem Einsiedler kamen zwei Freunde, aus früheren Tagen. Sie baten ihn, er möge ihnen aufrichtig sagen, was er in der Wüste gewonnen habe. Er schwieg eine Weile, dann goss er Wasser in eine Schale und sagte ihnen, sie sollten hineinschauen. Das Wasser war aber noch ganz unruhig. Nach einiger Zeit ließ er sie wieder hineinschauen und sprach. ‘Seht, wie ruhig das Wasser ist.’ Und sie schauten hinein und erblickten ihr Angesicht wie in einem Spiegel. Darauf sagte er: ‘Das ist die Erfahrung der Stille. Wer sich ruhig hält, und besonders in der Einsamkeit, der wird bald sich selber sehen.’
‚Das ist mein wahres Leben, das Leben eines ungebundenen Geistes, der sich von tausend alltäglichen Zwängen befreit hat und der durstig ist nach einem Leben unter freiem Himmel und im hellen, schillernden Licht der Sonne. Solange es die wunderbare Weite der Sahara gibt, habe ich immer eine Zuflucht, wo meine geplagte Seele sich von den kleinlichen Sorgen des modernen Lebens erholen kann.’ (Isabelle Eberhardt)
Ich lausche den Geschichten am Feuer, die in mir die Sehnsucht nach wahrem Leben wecken
Die Feder ‘Auf der Spitze eines hohen Berges lebte der kleine Vogel. Tagein, tagaus saß er da. Er konnte sich nicht erinnern, wie er dorthin gekommen war. Doch darüber dachte er auch nicht nach, denn er hatte andere Dinge zu tun. Er überlegte, wohin die Wolken ziehen und woher sie kommen – was die Sonne macht, wenn sie abends hinter den Bergen verschwindet – und warum sie morgens immer wieder aufgeht. Und nachts bewunderte er den Mond und zählte die Sterne. Der kleine Vogel mochte die Wolken, die Sonne, den Mond und die Sterne. Doch am meisten mochte er den Wind. Der ihm Geschichten erzählte. Manchmal konnte der kleine Vogel ihn flüstern hören. Manchmal erzählte der Wind von wilden und gefährlichen Abenteuern. Und manchmal erzählte er von tiefen Meeren, dunklen Wäldern, endlosen Wüsten und leuchtenden Städten. Eines Morgens, als der kleine Vogel wie immer auf der Bergspitze sass und in den Himmel schaute, erzählte der Wind ihm keine Geschichten. Er trieb, schneller als sonst, die Wolken vor sich her. Es begann zu regnen und der Wind wurde immer heftiger. Als das Unwetter sich verzogen hatte, entdeckte der kleine Vogel eine Feder. Die Feder sah anders aus als seine eigenen Federn. Sie erinnerte ihn an etwas, aber er wusste nicht, woran. An diesem Tag beobachtete der kleine Vogel nicht, wie die Wolken vorüberzogen. Er blickte auch nicht hinter der Sonne her, die langsam hinter den Bergen versank. Es wurde dunkel und er schaute immer noch die fremde Feder an. Dann, in der Nacht, als der Wind sanft durch seine Federn strich, legte der kleine Vogel die Feder vorsichtig auf die Bergspitze, öffnete seine Flügel und flog mit dem Wind davon.’ (Klaus Baumgart)
‘Wir richteten uns also für die Nacht ein. Aus den Laderäumen holten wir fünf oder sechs Warenkisten, leerten sie und stellten sie im Kreis auf, und in der Höhlung einer jeden zündeten wir eine ärmliche Kerze an, die dort notdürftig vor dem Wind geschützt war. So bauten wir uns mitten in der Wüste auf der nackten Rinde unseres Planeten, in einer Einsamkeit wie in den ersten Jahren der Schöpfung, ein Menschendorf. Wir saßen zusammen auf unserem Dorfplatz, diesem Stückchen Sand, auf das unsere Kisten ihr zitterndes Licht warfen, und warteten. Und ich weiß nicht, was dieser Nacht eine Weihnachtsstimmung gab: Wir erzählten einander Geschichten. Wir genossen die gleiche leicht gehobene Stimmung wie mitten in einem wohl vorbereiteten Fest. Dabei waren wir unendlich arm. Nur Wind, Sand und Sterne. Und doch teilten auf dieser schlecht beleuchteten Fläche sieben Menschen, die auf der Welt nichts besaßen als ihre Erinnerungen, unsichtbare Schätze untereinander aus. (Antoine de Saint-Exupery))
‚Und jeden Tag stieg die selbe unerbittliche Sonne am Himmel auf, um der Erde ihre letzte Feuchtigkeit zu entziehen und ihr eifersüchtig zu verbieten, außerhalb ihrer eigenen launischen Spiele in den opalen Morgen- und den purpurn vergoldeten Abendstunden ein eigenes Leben zu führen. Ich beobachtete den endlos fließenden Sand der Düne, wie weiße Wellen eines stillen Ozeans. Ja, ich liebe dieses Land aus Sand und Stein. Dort gibt es Landschaften, die der Tyrannei der Zeit zu entrinnen scheinen und sich fast unberührt erhalten: Sie allein sind in der Lage, auch den mattesten Seelen jenen Schauder und jene Trunkenheit zu geben, die sie auf immer verloren glaubten.‘ (Isabelle Eberhardt)
‘Eines Nachts setzte sich der Meister mit seinen Schülern zusammen und bat sie, ein Feuer anzuzünden. ‘Der spirituelle Weg gleicht dem Feuer, das vor uns brennt’, sagte er. ‘Der Mensch, der es anfachen will, muss den anfänglichen Rauch in Kauf nehmen, der einem das Atmen erschwert und Tränen in die Augen treibt. Brennt das Feuer jedoch einmal, verschwindet der Rauch, und die Flammen erleuchten alles ringsum, schenken uns Behaglichkeit und Frieden.’ ‘Aber es könnte doch jemand anderes das Feuer für uns anfachen’, meinte einer der Schüler. ‘Und jemand uns zeigen, wie man es anstellt, dass kein Rauch entsteht.’ ‘Tut er dies, ist er ein falscher Meister. Er kann das Feuer hintragen, wohin er will, oder es löschen, wann er will. Da er aber niemanden gelehrt hat, wie es angezündet wird, kann es gut sein, dass alle im Dunkeln bleiben.’ (Paulo Coelho)
Wie oft habe ich am frühen Morgen in den purpurnen Osten geblickt, der strahlenreicher flammte als ein Glorienschein – wie oft habe ich am Oasensaum, wo die letzten Palmen hinwelken und die Wüste über das leben siegt, mich gegen den Quell des Lichts geneigt, der das Auge schon unerträglich blendete, und meine sehnsüchtigen Wünsche zu dir schweifen lassen. Du weite Ebene, von Licht übergossen und von sengender Hitze. Welche Begeisterung wäre stark genug, welche Sehnsucht tief genug, welche Liebe glühend genug, um die Glut der Wüste zu überbieten? Herbes Land, Land ohne Güte, ohne Milde, Land des Durstes, der Inbrunst; Land der Propheten; Land des Leides, Land der Extaste – ach Wüste! Ich habe dich bis zur Verzweiflung geliebt. Ich liebte dich, wenn die weißen Krusten auf den Schotts, die reich an Luftspiegelungen sind, das Aussehen von Wasser annehmen. Ich liebte dich, wenn die Berge unter den schrägen Morgenstrahlen rötlich leuchteten, wie eine feuerflüssige Masse. Ich liebte dich, wenn der Wind vom fernen Horizont den Sand aufwühlte, bis die Oase keuchte. Ich liebte deine Abende, von denen keine anderen Lieder erzählen, als das schrille Zirpen der Insekten. (André Gide)
Der Meister sagt: ‘Heute wäre ein guter Tag, um etwas Außergewöhnliches zu tun. Zum Beispiel auf dem Weg zur Arbeit auf der Straße tanzen. Einem oder einer Unbekannten in die Augen schauen und von Liebe auf den ersten Blick sprechen. Dem Chef gegenüber eine Idee hervorbringen, mit der wir uns vielleicht lächerlich machen, an die wir jedoch glauben. Ein Instrument kaufen, das wir schon immer spielen wollten, aber nicht wagten. Die Krieger des Lichts gestehen sich solche Tage zu. Wir können den Tag auch dazu benutzen, um alte Wunden zu lecken, die immer noch weh tun. Wir können jemanden anrufen, den nie wieder anzurufen wir uns geschworen haben. Heute könnte ein Tag sein, der nicht ins Pensum passt, das wir jeden Morgen aufsetzen. Heute ist jeder Fehler erlaubt und verziehen. Heute ist ein Tag der Lebensfreude.’
Ich lobe den Tanz, denn er befreit den Menschen von der Schwere der Dinge, bindet den Vereinzelten zu Gemeinschaft. Ich lobe den Tanz, der alles fordert und fördert, Gesundheit und klaren Geist und eine beschwingte Seele. Tanz ist Verwandlung des Raumes, der Zeit, des Menschen, der dauernd in Gefahr ist, zu zerfallen, ganz Hirn, Wille oder Gefühl zu werden. Ich lobe den Tanz. O Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit dir anzufangen. (Augustinus, 354 – 430 v. Chr.)
‚Aber seine Stimme war rein und weich: keine andere hatte mir je den geheimen und undefinierbaren Charme dieser alten arabischen Musik, die vor mir schon zahllose traurige Seelen verrückte, so voll vermittelt.’ (Isabelle Eberhardt)
Die Zeit verstreicht, aber dies hat keine Bedeutung. Die Sterne flüstern ihre Geschichte von Unendlichkeit. Wind kommt auf, berührt sanft meine Haut. Entspannt liege ich da, hören ihnen allen zu: der Stille, dem Wind, den Sternen und den Stimmen der Weggefährten. Alle sind sie jetzt bei mir und erzählen dieselbe Geschichte. ‘Prevost hat unter den Trümmern eine Apfelsine entdeckt, und dieses unverhoffte Wunder teilen wir uns jetzt. Ich bin ganz außer Fassung, und wie wenig ist es doch für Menschen, die zwanzig Liter Wasser nötig hätten. Ich ruhe neben dem Lagerfeuer und betrachte die leuchtende Frucht, und ich sage mir: ‘Die Menschen wissen nicht, was eine Apfelsine ist.’ Und weiter dachte ich: ‘Wir sitzen hier zum Tode verurteilt, und doch verdirbt mir diese Gewissheit nicht den Genuss. Diese halbe Apfelsine, die ich in meiner Hand halte, ist eine der größten Freuden meines Lebens.’ Ich lege mich auf den Rücken, ich lutsche meine Frucht aus und zähle die Meteore. Für eine Minute bin ich restlos glücklich.’ (Antoine de Saint-Exupery)
Die drei Orangen Der Jongleur stellt sich in die Mitte des Platzes, zieht drei Orangen aus der Tasche und wirft sie hoch. Um ihn herum versammeln sich Zuschauer, die die Anmut seiner Bewegungen bewundern. ‘Das Leben ist ganz ähnlich’, bemerkt einer zum Wanderer. ‘Auch wir haben immer in jeder Hand eine Orange, während die dritte sich in der Luft befindet. Sie wurde von erfahrener Hand geschickt in die Luft geworfen, doch dann folgt sie ihrer eigenen Bahn. – Wie der Jongleur werfen wir einen Traum in die Welt, aber wir haben ihn nicht immer unter Kontrolle. In solchen Augenblicken müssen wir fähig sein, ihn der Welt anzuvertrauen, und hoffen, dass er seine Flugbahn in Würde beendet. Und dass der Traum dann erfüllt in unsere Hände zurückfällt.’ (Paulo Coelho)
Eine Mandarine schälen (Achtsamkeitsübung von einem Zen-Meister): ‘Wenn ihr eine Mandarine schält, dann könnt ihr sie mit Achtsamkeit essen oder ohne Achtsamkeit. Esst ihr eine Mandarine achtsam, so ist euch bewusst, dass ihr eine Mandarine esst. Ihr erfahrt vollkommen ihren lieblichen Duft und ihren süßen Geschmack. Schält ihr die Mandarine, so wisst ihr, dass ihr eine Mandarine schält. Nehmt ihr ein Stück und steckt es in euren Mund, so wisst ihr, dass ihr ein Stück nehmt und es in euren Mund steckt. Empfindet ihr den lieblichen Duft und den süßen Geschmack, dann wisst ihr, dass ihr den lieblichen Duft und den süßen Geschmack empfindet. Die Mandarine, die mir gereicht wurde, hatte neun Teile. Jeden Bissen aß ich ganz bewusst und achtsam, und so erlebte ich, wie kostbar und wundervoll er war. Ich vergaß die Mandarine nicht und daher wurde sie für mich etwas sehr Wirkliches. Ist die Mandarine wirklich, dann ist der Mensch, der sie isst, auch wirklich. Das bedeutet, eine Mandarine mit Achtsamkeit zu essen. Was aber bedeutet es, eine Mandarine ohne Achtsamkeit zu essen? Esst ihr eine Mandarine so, dann ist euch nicht bewusst, dass ihr eine Mandarine esst. Ihr empfindet nicht ihren lieblichen Duft und ihren süßen Geschmack. Schält ihr die Mandarine, so wisst ihr nicht, dass ihr eine Mandarine schält. Nehmt ihr ein Stück und steckt es in euren Mund, so wisst ihr nicht, dass ihr ein Stück nehmt und es in euren Mund steckt. Riecht ihr den Duft der Mandarine und schmeckt ihr sie, so wisst ihr nicht, dass ihr den Duft der Mandarine riecht und sie schmeckt. Esst ihr die Mandarine auf diese Weise, so könnt ihr nicht ihre kostbare, wundervolle Natur wert schätzen. Ist euch nicht bewusst, dass ihr eine Mandarine esst, so ist die Mandarine nicht wirklich. Ist die Mandarine nicht wirklich, dann ist auch die Person, die sie isst, nicht wirklich. Das bedeutet, eine Mandarine ohne Achtsamkeit zu essen. Eine Mandarine achtsam zu essen bedeutet, wirklich in Berührung mit ihr zu sein, während ihr sie esst. Euer Geist jagt nicht den Gedanken von gestern oder morgen hinterher, er bleibt vielmehr vollkommen im gegenwärtigen Moment. Die Mandarine ist wirklich gegenwärtig. In Achtsamkeit und Bewusstheit leben bedeutet im gegenwärtigen Moment leben; euer Geist und Körper verbleiben wirklich im Hier und Jetzt. Ein Mensch, der achtsam ist, kann Dinge in der Mandarine sehen, die andere nicht erkennen können. Ein bewusster Mensch kann den Mandarinenbaum sehen, die Mandarinenblüte im Frühling, das Sonnenlicht und den Regen, die beide die Mandarine nährten. Schaut ihr ganz genau, könnt ihr die zehntausend Dinge sehen, die die Mandarine möglich gemacht haben. Betrachtet ein Mensch eine Mandarine mit Bewusstheit, so kann er alle Wunder dieses Universums darin erkennen; ebenso kann er sehen, wie die Dinge aufeinander einwirken. Unser tägliches Leben kann man gut mit einer Mandarine vergleichen. So wie eine Mandarine aus einzelnen Stücken besteht, so besteht ein Tag aus vierundzwanzig Stunden. Eine Stunde ist wie ein Stück der Mandarine, und die vierundzwanzig Stunden eines Tages zu leben ist wie das Essen aller Mandarinenstücke. Der Pfad, den ich gefunden habe, ist der Pfad, jede Stunde des Tages in Bewusstheit zu leben, mit Geist und Körper im gegenwärtigen Moment zu leben. Das Gegenteil ist ein Leben in Unachtsamkeit und Achtlosigkeit. Leben wir unachtsam, dann wissen wir nicht, dass wir lebendig sind. Wir erfahren das leben nur unvollständig, denn unser Geist und unser Körper verweilen nicht im Hier und Jetzt.’
Orange-Zimt-Tee (4 Gläser):
4 Beutel schwarzer Tee mit Orangen-Aroma, 50 ml brauner Rum, 1 Orange, 4 TL Kandiszucker, 2 Stangen Zimt, 4 Sternanis Den Tee mit 700 ml kochendem Wasser übergießen. 5 Minuten ziehen lassen. Teebeutel entfernen, Rum unterrühren. Orange in Scheiben schneiden und mit dem Kandiszucker auf vier Gläser verteilen. Je eine halbe Zimtstange, Sternanis zugeben. Mit dem heißen Grog übergießen.
Wüste ist der Raum, wo der Mensch auf seine eigene Winzigkeit und Ohnmacht verwiesen wird. (Gisbert Greshake)
Wenn man mit einem Araber eine Verabredung trifft, wird er sagen ‘inshaallah’. Oft werden Araber deshalb verspottet. Man unterstellt ihnen, mit diesem ‘inshaallah’, das so viel bedeutet wie ‘wenn Gott will’, entzögen sie sich der absoluten Verpflichtung, die Verabredung einzuhalten. Das ist Unsinn. Sie sagen das aus Demut, weil sie wissen, dass sie nicht die Herren des Schicksals sind, dass ihnen im nächsten Moment etwas zustoßen kann, das es ihnen unmöglich machen würde, die Verabredung einzuhalten. Mit diesem ‘inshaalah’ unterwerfen sie sich einem göttlichen Willen, der stärker ist als jede menschliche Absicht. Wer glaubt, er stehe über der göttlichen Fügung oder müsse sich nicht dem Schicksal unterwerfen, ist ein Narr. Wer in der Wüste lebt, lebt ganz im Heute, von der Hand in den Mund, ist frei von Bindungen, die abhängig machen. Es geht nur um das eine Notwendige, das Haben und in Sein verwandelt.’ (Jürgen Werner)
Warum glaubt der Europäer immer, über die Zukunft schwatzen zu können? Wenn es Gott gefällt, gibt es kein Morgen mehr! (Sheik Ali Salim)
‘Sein Haus ist ein Zelt, sein Schrank ein Ast, und seine Währung sind Ziegen, Schafe und Kamele. Und doch ist er reich. Denn Kalakoa vom Volk der Tuareg nennt ein ungeheuer weites Land sein Eigen: Die Ténéré im Süden der Sahara. Und die Grenze ist ihm der Horizont.’
‘Beduinen kannst du nur verstehen, wenn du mit ihnen am Feuer sitzt.’
Niemand kann in der Wüste leben und unverändert daraus hervorgehen. Er wird für immer, mehr oder weniger deutlich, das Zeichen des Nomaden tragen; und er wird immer das Heimweh nach diesem Leben spüren, ob leise oder brennend: ‚Ich erkenne sie wieder in all ihrer Pracht, mit ihren trübseligen Zaubereien, diese Erde, die unter der ewigen Liebkosung der Sonne wie von Sinnen ist. Nomadin werde ich mein ganzes Leben lang bleiben, verliebt in wechselhafte Horizonte, in noch unerforschte Fernen, denn jede Reise ist eine Erforschung.‘ (Isabelle Eberhardt)
‘Reisen ist, wenn man nicht denkt, sondern die Abfolge der Dinge vorbeiziehen sieht, wenn sich das eigene Lebensgefühl dem Maß des Raumes einfügt. Die sich langsam entfaltende Monotonie der Landschaft trägt dazu bei, uns Erholung von jenen Falten zu gönnen, die wir angenommen haben; uns mit einem Gefühl von Leichtigkeit und Ruhe zu durchdringen, das dem wie im Dampfbad transportierten, im Fieber liegenden Reisenden nicht zuteil werden kann. Beim ruhigen Schritt der vor Hitze ermatteten Kamele bewahren die geringsten Zufälligkeiten des Weges in meinen Augen ihre bildhafte Schönheit. Es sind keine aufgeregten Situationen; es ist ein ruhiger, lebendiger Geisteszustand, der einst allen menschlichen Rassen eigen war und sich heute noch, ganz in unserer Nähe, im Blut der Nomaden verewigt. Welch ein glückseliges Gefühl, eines Tages mutig alle Fesseln abzuschütteln und mich symbolisch mit Stab und Bettelsack zu rüsten und einfach fortzugehen. Ich glaube, es gibt prädestinierte Stunden, höchst geheimnisvolle, privilegierte Augenblicke, in denen Landschaften ihre Seele enthüllen, in denen wir plötzlich die einzige, unauslöschliche Sicht begreifen.‘ (Isabelle Eberhardt)
‘Der Stern gilt als Zeichen des Himmlischen, des Unendlichen, als Bringer des Lichtes, als Orientierung in der Finsternis, als Leit- und Markierungsstern auf dem Weg. Der Morgenstern kündigt den neuen Tag, ein neues Zeitalter an, der Abendstern zeigt mit dem Vergehen des alten Tages auch das Ende der alten Zeit an.’
Die Sterne sind unentbehrlich. Es ist kein Zufall, dass im Orient, in den Ländern der Wüsten Mond und Sterne eine so große Bedeutung haben. Der abnehmende Mond mit dem Abendstern ist das Symbol für nahezu das gesamte Morgenland. Der Mond ist das Gestirn der Nomaden. Die Nacht mit ihren Gestirnen ist die wahre Gefährtin des Menschen in der Wüste.
Es genügt das Fehlen eines einzigen Sterns, dass die Karawane die Richtung verliert. (Helder Camarra)
‘Das ist wie mit der Blume. Wenn du eine Blume liebst, die auf einem Stern wohnt, so ist es süß, bei Nacht den Himmel zu betrachten. Alle Sterne sind voll Blumen. Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es dir sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache. Du allein wirst Sterne haben, die lachen können. Es wird sein, als hätte ich dir statt der Sterne eine Menge kleiner Schellen geschenkt, die lachen können. Mein Stern wird für dich einer der Sterne sein. Dann wirst du alle Sterne gern anschauen. Alle werden deine Freunde sein.’ (Antoine de Saint-Exupery)
Folge dem Stern Du musst zuerst seine Besonderheit erkennen, du musst dann zum Aufbruch bereit sein und dann musst du gehen: Schritt für Schritt. Folge dem Stern, lass dich führen, hoffend – und vertraue darauf – dass sich die Verheißung des Sterns für dich erfüllt. Folge dem Stern, halte inne, wo er stehen bleibt. Lass dich ein auf die Begegnung, sei da mit leeren Händen: kindlich – offen – ganz. Folge dem Stern, dass du dann verwandelt einen neuen Weg in deinem Alltag beginnst.